DOMRADIO.DE: Den Jakobsweg im Winter zu gehen, erfordert Mut. Wieso wollten Sie das wagen? Gab es einen besonderen Anlass?
Roman Rösener (Pilger auf dem Jakobsweg): Ich bin den Jakobsweg im Frühjahr davor schon mal gegangen. Damals waren wir in einer Herberge. Der Herbergsvater dort hat uns erzählt, dass er selbst den Weg nur im Winter machen kann und dass er im Winter auch einen ganz besonderen Reiz hat. Diese Erzählungen haben mich so fasziniert, dass ich dachte, ich müsste das auch mal ausprobieren.
DOMRADIO.DE: So wenig Gepäck wie möglich, das ist die Devise von erfahrenen Pilgern. Aber im Winter muss man sowieso mehr mitnehmen. Man muss sich wärmer anziehen. Man muss mit Schnee rechnen. War das nicht eine elende Schlepperei?
Rösener: Nein. Ich habe es wirklich sehr stark reduziert und einfach einen Pullover und eine Jacke mehr mitgenommen - und eine warme Unterhose...und dann ging das auch gut.
DOMRADIO.DE: Und wenn die Strümpfe mal nass sind?
Rösener: Zwei, drei Paar Strümpfe hat man eh immer dabei. Und abends in den Herbergen brennt oft auch der Kamin. Da hängt man die Strümpfe drüber und sie sind am nächsten Morgen wieder trocken.
DOMRADIO.DE: Losgegangen sind Sie in Südfrankreich. Die erste Etappe war gleich herausfordernd, oder? Im Winter über die Pyrenäen. Ging es da direkt los mit Schnee?
Rösener: Ja, da hatten wir tatsächlich auch Schnee. Zum Glück maximal knöcheltief und sehr trocken. Da sind die Füße nicht wirklich nass geworden. Anstrengend ist es natürlich. Man sollte da schon eine ganz gute Kondition haben. Aber es ist auch ein unglaubliches Erlebnis. Wir hatten ganz klare Sicht und konnten ewig weit in die Pyrenäen hineingucken. Das war richtig toll.
DOMRADIO.DE: Wie viele Kilometer haben Sie denn pro Tag geschafft? Das ist ja etwas völlig anderes, im Winter zu gehen, wenn irgendwann die Füße einfrieren. Und man macht auch nicht mal eben eine Stunde Picknick irgendwo. Das wird einfach zu kalt.
Rösener: Ich bin ungefähr 20 Kilometer am Tag gegangen, so wie man das eigentlich im Sommer auch macht. Manchmal habe ich Pech gehabt, da waren Herbergen auch geschlossen. Da musste ich weitergehen. Da bin ich dann auch mal 30 oder 40 Kilometer gelaufen. Das ist dann schon anstrengend. Aber man hat natürlich auch Zeit.
DOMRADIO.DE: Sind Sie auch mal an den Punkt gekommen, dass sie wirklich so durchgefroren waren, dass Sie dachten: Meine Güte, auf was habe ich mich da eingelassen?
Rösener: Ja, auf jeden Fall. Das ist aber auch wirklich die Faszination des Jakobswegs. Da taucht dann irgendwo dann doch wieder eine Herberge auf, oder ein Café, wo gerade ein Kaminfeuer brennt. Gerade dann, wenn man die Hilfe braucht, kommt sie auch irgendwie, auf wunderbare Weise.
DOMRADIO.DE: Ich stelle mir das ein bisschen vor wie bei der Herbergssuche von Maria und Josef. Wie hat das denn mit den Unterkünften geklappt? Viele haben ja tatsächlich im Winter geschlossen.
Rösener: Der Weg ist von der Infrastruktur her relativ gut, aber im Winter natürlich wesentlich schlechter. Man darf da nicht allzu hohe Ansprüche haben. Ich habe dann auch tatsächlich mal in einem ungeheizten Raum schlafen müssen, mit zwei Wolldecken. Und dann war mir morgens so ein bisschen der Rotz in der Nase gefroren, weil es Minusgrade gab. Das ist schon ein bisschen herausfordernd, aber das geht alles. Man ist erstaunt, was man alles gut machen kann, wenn man irgendwie Lust dazu hat.
DOMRADIO.DE: Sind Sie auf dem Weg anderen Pilgern begegnet?
Rösener: Ja, schon. Allerdings sehr wenigen. Einige Etappen habe ich auch mit einem Italiener zusammen gemacht. Man rottet sich dann auch ein bisschen zusammen. Aber es ist natürlich sehr viel weniger als zu anderen Jahreszeiten.
DOMRADIO.DE: Was hat Ihnen denn besser gefallen - der Jakobsweg im Frühjahr, zur "Rush Hour" sozusagen, oder im Winter?
Rösener: Es kommt ein bisschen darauf an, was man gerade sucht. Ich habe im Frühjahr sehr viele tolle Menschen aus sehr vielen Ländern getroffen, was ein tolles Erlebnis war. Aber für das Jahr brauchte ich, glaube ich, gerade ein bisschen Ruhe für mich. Und dann war das auch wirklich toll. Das ist schwer zu vergleichen. Auch diese Kargheit ist natürlich noch mal eine Erfahrung für sich. Es lohnt sich beides.
DOMRADIO.DE: Würden Sie nochmal so mutig sein und den Jakobsweg im Winter gehen?
Rösener: Auf jeden Fall. Und ich kann es auch wirklich jedem nur empfehlen, das auch mal auszuprobieren.
DOMRADIO.DE: Sie gehen den Jakobsweg auch mit Menschen, für die das eine besondere Herausforderung sein wird.
Rösener: Ja, wir haben das jetzt mit einer Gruppe der Lebenshilfe in Berlin gemacht, mit Menschen mit Behinderung. Das sind drei Etappen - also dreimal zwei Wochen, von Pamplona bis Santiago. Das ist für die Menschen tatsächlich nochmal eine große Herausforderung. Die haben oft Orientierungsprobleme, kommen auch sprachlich nicht so gut zurecht, lassen sich also auf ganz neue Erfahrungen ein, machen dabei aber auch sehr tolle Erfahrungen.
DOMRADIO.DE: Und Sie versuchen, ihnen Mut zu machen, das Projekt mitzugehen.
Rösener: Ja klar, einerseits ist da das Mut machen – andererseits natürlich auch die Unterstützung bei der Orientierung, bei der Sprache und ähnlichen Sachen. Manchmal geht es natürlich auch darum, immer wieder aufzubauen und zu sagen: Komm, wir schaffen das. Es geht weiter.
DOMRADIO.DE: Fanden Sie sich mutig, den Jakobsweg im Winter zu gehen?
Rösener: Nein, eigentlich nicht. Ich hab da wirklich Vertrauen gehabt. Es ist, glaube ich, eher eine Frage des Vertrauens als des Mutes.
Das Interview führte Dagmar Peters