DOMRADIO.DE: Wenn Sie zurückschauen auf die Zeit von Joseph Kardinal Frings, was kommt Ihnen als erste Erinnerung in den Kopf?
Dompropst em. Norbert Feldhoff: Er war für uns junge Studenten und Priester doch ein sehr alter Bischof. Und bei allem Respekt - auch vor dem, was er auf dem Konzil geleistet hatte - war bei uns doch der Wunsch deutlich: Hoffentlich kommt bald ein Wechsel. Also bei allem Respekt, er war über 80 und konnte ja kaum noch sehen. Er war kein hervorragender Prediger, da haben wir uns sehr lustig gemacht über ihn. Junge Leute haben ja eine gewisse Respektlosigkeit, auch gegenüber Bischöfen.
Aber gerade aus dem Abstand heraus, muss ich sagen, dass seine Leistung auf dem Konzil herausragend war. Ebenso das, was er als junger Bischof für die Bevölkerung getan hat. In der Silvesterpredigt 1946 machte er seine berühmte Aussage über das "fringsen" (Anm. d. Red.: eine etwas eigenwillige Interpretation der katholischen Soziallehre, dass das Klauen von Kohle und Essen in Notzeiten gut sei). Er hatte lange mit sich gerungen, ob er das machen sollte.
Dann kam sein mutiger Einsatz in der Nachkriegszeit gegenüber den Alliierten. Da war er ein mutiger Vertreter für die Rechte der Deutschen. Er hat sich für die Rückkehr der Gefangenen eingesetzt. Eine wichtige Tat für Deutschland war auch das Domjubiläum 1948. Es war die erste große Veranstaltung in Deutschland, an der prominente Vertreter der Kriegsgegner nach Deutschland kamen: Kardinäle aus Frankreich, aus England, aus Belgien aus Holland. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Drei Jahre nach Kriegsende war dies die erste weltweit beachtete Veranstaltung, an der prominente Vertreter der Kriegsgegner friedlich nach Deutschland kamen und mit uns feierten. Das hat er bewusst inszeniert, das war eine ganz große Tat.
DOMRADIO.DE: Was war er persönlich für ein Mensch?
Feldhoff: Er war sehr humorvoll, das ist auch in der Bevölkerung hängengeblieben. Er konnte spritzig und witzig sein. In den sechziger Jahren hat er sich Sorgen gemacht, ob er alles auf dem Konzil richtig gemacht hat. Er war da sehr mutig aufgetreten. An seiner Seite hatte er exzellente Berater, das war seine Stärke. Ihn begleiteten Generalvikar Teusch, Professor Jedin, der beste Konzilskenner, und der junge damals 35-jährige Professor Ratzinger, von dem keiner ahnte, dass er mal Papst werden würde. Der aber schon verschiedene Reden gehalten hatte, die das Konzil deutlich beeinflusst haben.
Kardinal Frings hat sich Sorgen gemacht. Er hatte Gewissensnöte, ob er vielleicht mit seinem mutigen Auftreten die Unruhe in der Kirche und in der Gesellschaft der sechziger Jahren mitverursacht hat. Da hat er auch öfter mit seinem Nachfolger Kardinal Höffner darüber gesprochen.
DOMRADIO.DE: Wenn Sie heute mit dem Abstand auf ihn schauen oder die Kirche auf ihn schaut: Was bleibt von ihm? Was ist sein wichtigstes Erbe, das er hinterlassen hat?
Feldhoff: Ich würde erst einmal pauschal sagen: Er war zweifellos einer der bedeutendsten deutschen Bischöfe im 20. Jahrhundert. Da gibt es auch andere bedeutende, aber er gehört zweifellos zu den bedeutendsten Bischöfen. Ich glaube, sein mutiges Auftreten auf dem Konzil und vor allem in der Kriegs-und Nachkriegszeit, das wird hängen bleiben.
DOMRADIO.DE: Er war maßgeblich dafür verantwortlich, dass Misereor und Adveniat gegründet wurden. War er tatsächlich ein Bischof der Menschen?
Feldhoff: Er hatte ja als Wahlspruch "Pro hominibus constitutus - Für die Menschen bestellt". Das hat er auch so gelebt. Ich habe neulich noch einmal nachgelesen: Bei der Beerdigung ging man mit dem Leichnam zum Rathaus. Der damalige Oberbürgermeister Franz Ziegler hat das meines Erachtens zu Recht herausgestellt. Er war ein Volksbischof. Auch sein rheinisch-humorvolles Wesen, neben den inhaltlichen Dingen, die ich erwähnt habe, hat ihn wirklich zu einem Volksbischof gemacht. Er war außerordentlich beliebt.
DOMRADIO.DE: Es gibt ja auch viele lustige Anekdoten von ihm. An welche erinnern Sie sich persönlich?
Feldhoff: Ich kenne nicht so viele der Anekdoten. Eine lustige Sache habe ich aber selbst mit ihm erlebt. Er war ja ein sehr kulturell gebildeter Mann, auch musikalisch. Er gehörte der Shakespeare-Gesellschaft an und er hörte jeden Abend Schallplatten auf einem ganz alten Plattenspieler. Ich war einmal die Woche sein Konzelebrant - sein Sekretär hatte einen Schulgottesdienst und konnte nicht und er konnte allein nicht mehr zelebrieren, weil er blind war. Nach dem Gottesdienst ging ich dann zu ihm frühstücken. So bestand über viele Jahre ein sehr enger Kontakt.
Einmal habe ich den Mut gehabt, ihm zu sagen: "Herr Kardinal, ich hab jetzt eine neue Stereoanlage. Kommen Sie doch mal zu mir ins Zimmer und dann führe ich Sie Ihnen vor." Da antwortete er: "Ja, da komme ich gerne, Herr Feldhoff, gut." Ich habe ein Beethoven-Stück aufgelegt, wegen der Stereo-Wirkung. Da kamen Kanonen drin vor, die knallten so schön rechts und links. Er hat ganz still gesessen und sich das angehört. Als es vorbei war, hat er gesagt: "Wissen Sie, auch wenn Mozart 60 Jahre alt geworden wäre, so etwas hätte er nie komponiert." Damit war der Fall erledigt. Er hat sich nie eine Stereoanlage angeschafft. Das werde ich nie vergessen, das war eine Dummheit von mir.
DOMRADIO.DE: Wie würde er heute auf den Zustand seiner Kirche blicken?
Feldhoff: Es ist gut, dass er tot ist und dass er das nicht erleben muss. Das wäre furchtbar für ihn. Schon in den 68er-Unruhen, die ihn sehr beunruhigt haben, wurden von jüngeren Priestern Glaubensfragen in Frage gestellt. Aber im Vergleich zum negativen Ansehen der Kirche heute, war das etwas weniger schlimm. Es ist gut, dass er jetzt nicht mehr lebt.
DOMRADIO.DE: Inweiweit ist Karidnal Frings ein Beispiel für die Menschen, für die Priester und Bischöfe heute?
Feldhoff: Ich glaube, ein wichtiges Beispiel ist seine grundsätzlich konservative, positive Haltung zur Kirche, dann aber auch sein mutiges Auftreten auf dem Konzil. Das hätte man von ihm vorher gar nicht so erwartet. Was wir heute bei den Priestern brauchen, ist, dass sie zu ihrem Bischof stehen aber ihm auch mutig ins Gesicht sagen, was sie meinen, wenn Sie nicht seiner Meinung sind. Diese Kombination aus Gehorsam und Offenheit scheint mir gerade in einer Krisenzeit ganz wichtig zu sein. Und im Grunde hat er das für mich gelebt.
Das Interview führte Ina Rottscheidt.