Das hält kein Kalender mehr aus. Mussten Kalender-Hersteller früher gerade mal die kirchlichen Heiligenfeste für jeden Tag und ein paar staatliche Feiertage berücksichtigen, so ist 2019 beinahe jeder der 365 Tage mit mindestens einer besonderen Bedeutung aufgeladen.
Gedenktag gegen Gedenktage
Allein die Vereinten Nationen haben mittlerweile rund 130 Internationale Tage pro Jahr festgelegt. Und da niemand Staaten, Verbände, Marketingexperten und Spaßvögel daran hindern kann, eigene Gedenktage auszurufen, ist die Gedenktags-Inflation kaum noch aufzuhalten.
Es gibt Gedenktage für Sparer, Blutspender, Nudelliebhaber und verlorene Socken, für Sklaven, Putzfrauen und Bauern, für Epilepsie, Menschen mit Down-Syndrom und Rückenleiden. Im Festtags-Wirrwarr gibt es sogar einen Gedenktag gegen Gedenktage: Der US-Kolumnist Harold Pullman Coffin soll 1972 den 16. Januar als "National Nothing Day" ausgerufen haben - als Tag, an dem seine amerikanischen Mitbürger einfach mal da sitzen dürfen - ohne irgendetwas zu feiern, eines Ereignisses zu gedenken oder jemanden zu ehren.
Allerdings: Den Gedenktags-Boom konnte er damit nicht stoppen.
Reiche Palette an UN-Gedenktagen
Weihnachten, Ostern, Pfingsten und Co. gliedern seit Jahrhunderten das Jahr nach dem christlichen Festtagskalender. Drumherum entstand dann der Heiligenkalender, der sich fest mit Brauchtum und Lebensregeln wie dem Bauernkalender verband: Der Siebenschläfertag gab Orientierung für das Sommerwetter, an Lichtmess (2. Februar) begann die Frühjahrsarbeit und an Martini (11. November) wurden Knechte und Mägde ausgezahlt. Erster Mai, Muttertag, Erntedanktag und Volkstrauertag beanspruchen teil- und zeitweise staatliche Autorität, sind aber nicht ganz so alt wie die kirchlichen Feste. Das war es dann für lange Zeit.
Doch schon kurz nach ihrer Gründung erkannten die Vereinten Nationen das Potenzial von Gedenktagen. Am 31. Oktober 1947 proklamierte die UNO den ersten "Welttag der Vereinten Nationen", um die Weltorganisation im Bewusstsein der Weltbevölkerung zu verankern.
Mittlerweile reicht die Palette der UN-Tage vom Welt-Aids-Tag über den Tag der Muttersprache und den Welttag der Poesie bis zum Weltfernmeldetag, dem Welttoilettentag oder zum Tag der Industrialisierung Afrikas.
Viele haben kaum Durchschlagskraft
Auch kleinere Institutionen, Verbände und Vereine proklamieren mittlerweile Gedenktage. Den "Tag der gesunden Ernährung" hat der Verband für Ernährung und Diätetik initiiert, den "Tag der Kriminalitätsopfer" der Weiße Ring.
Der Internationale Verband der Milchwirtschaft propagiert den "Tag der Milch", der Bundesverband des Deutschen Briefmarkenhandels feiert den "Tag der Briefmarke", und die deutsche Agrarwirtschaft rief 1999 erstmals den "Tag des Deutschen Butterbrotes" aus.
Sie alle haben - anders als der Muttertag, der auf die Privatinitiative einer einzigen Frau zurückgeht - bislang nur wenig Durchschlagskraft. Viel öffentliche Aufmerksamkeit erhält höchstens der "Tag des deutschen Bieres", der jährlich am 23. April an das 1516 erlassene Reinheitsgebot für bayerisches Bier erinnert.
Wirf-Deine-Jahresvorsätze-über-Bord-Tag
Manch ein Festtag ist wohl einfach von Spaßvögeln erfunden und existiert nur in Kalendern des Internet: Das dürfte für den Welttag des Schneemannes (18. Januar) ebenso gelten wie für den Tag der Komplimente (24. Januar). Wer den "Internationalen Tag des Kusses" googelt, kommt immerhin auf mehr als 14.000 Ergebnisse.
Junge Männer aus Österreich haben 2009 erstmals den Internationalen Tag der Jogginghose ausgerufen und fordern dazu auf, an diesem Tag ganz bewusst auch an Orten, an denen eigentlich Haute Couture angesagt ist, das bequeme, aber nicht sonderlich hübsche Kleidungsstück zu ehren. Dass am selben Tag, dem 21. Januar, auch der Weltknuddeltag stattfindet, passt irgendwie ins Bild.
Fest mit dem Januar verbunden ist der Wirf-Deine-Jahresvorsätze-über-Bord-Tag, der am 17. Januar angesetzt ist. Schließlich ist es 16 Tage nach Jahresbeginn höchste Zeit, die an Silvester gemachte Liste mit den fantastischen Vorsätzen für das neue Jahr zu überprüfen - und meist über Bord zu werfen: mehr Sport machen, gesünder essen, weniger Stress. Vielleicht gehört ja auch der Vorsatz dazu, keine neuen Gedenktage auszurufen. (Christoph Arens/KNA)