Sie stellen mit weit über einer Million Beschäftigten die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen. Doch wichtige Entscheidungen sind lange über den Kopf der Pflegekräfte hinweg getroffen worden. "Uns fehlt die politische Durchschlagskraft" sagt die Vize-Präsidentin des Deutscher Pflegerats, Christine Vogler. "Wir haben mental noch zu sehr die Schwesternhaube auf", verweist Pflegerats-Präsident Franz Wagner auf eine lange Tradition des Dienens und der Selbstlosigkeit.
Doch das soll sich ändern. Mittlerweile gibt es in drei Bundesländern Landespflegekammern: in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz. Am Mittwoch wurde bekannt, dass auch für die 200.000 Beschäftigten der Alten-, Kranken- und Gesundheitspflege in Nordrhein-Westfalen eine Pflegekammer errichtet wird. Damit dürfte auch der Einrichtung einer Bundespflegekammer - analog zur Bundesärztekammer oder zur Bundesapothekerkammer - nichts mehr im Wege stehen.
Spahn: Kammern können eine Lösung sein
Rückenwind kommt von höchster Stelle: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach sich am Donnerstag erneut für eine Pflegekammer auch auf Bundesebene aus. "Pflege braucht eine gute Interessenvertretung. Kammern können dafür eine Lösung sein", sagte Spahn der "Rheinischen Post". Und der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, betonte: "Ich hoffe sehr, dass die Gründung einer Pflegekammer nun auch in NRW die letzten Dämme für eine Bundespflegekammer bricht."
Seit Jahren kämpfen der Deutsche Pflegerat und viele professionell Pflegende für mehr Selbstbestimmung und eine einflussreichere Stimme ihres Berufs gegenüber der Politik. Die Kammern sollen dafür sorgen, dass die Pflegenden in Eigenregie die Belange ihrer Berufsgruppe regeln, die Qualität der Arbeit sichern, für Weiterbildung sowie die Einhaltung ethisch-moralischer Grundsätze sorgen und die politische Vertretung übernehmen.
Wenig Informationen, schwierige Planung
"Es gibt bislang nicht mal gesicherte Daten über die Zahl der Pflegekräfte in Deutschland, wir wissen nicht mal ihr Alter und die Zahl ihrer Berufsjahre. Es gibt also auch keine gesicherten Erkenntnisse darüber, wann wie viele in Ruhestand gehen und wie die Ausbildungssituation aussieht", begründet der Deutsche Pflegerat das Ziel auch mit großen Erkenntnislücken und Planungsnotwendigkeiten.
Vorreiter ist Rheinland-Pfalz. Dort hat 2016 die bundesweit erste Landespflegekammer ihre Arbeit aufgenommen. Niedersachsen startete Anfang August - und legte einen Fehlstart hin. Andere Bundesländer stehen in den Startlöchern. In Brandenburg hat sich eine Mehrheit von 56 Prozent in einer Online- und Telefon-Umfrage der Landesregierung für eine Kammer ausgesprochen.
Diskussion um Beiträge
Doch es gibt auch Gegenwind. Arbeitgeber und Gewerkschaften fürchten um Einfluss. Stein des Anstoßes bei den Pflegekräften ist die Zwangsmitgliedschaft samt Pflichtbeiträgen. In Niedersachsen eskalierte die Situation zum Jahresende: Alle Mitglieder hatten vor Weihnachten einen Beitragsbescheid über den Höchstbeitrag von 140 Euro für 2018 erhalten. Dabei wurde ein Jahreseinkommen von 70.000 Euro zugrunde gelegt - was kaum eine Pflegekraft verdient.
Mittlerweile ist der Vorstand zurückgerudert: Jedes Mitglied soll auf Basis einer Selbsteinstufung innerhalb von vier Wochen unkompliziert sein tatsächliches vorletztes steuerpflichtiges Jahresbruttoeinkommen angeben und entsprechende Beiträge zahlen. Juristisch hat das Verwaltungsgericht Hannover im November entschieden, dass die Pflichtmitgliedschaft in der niedersächsischen Pflegekammer verfassungsgemäß sei.
Fest steht auch, dass nicht alle Bundesländer mitziehen: So entschieden sich die Pflegekräfte in Hamburg mit deutlicher Mehrheit gegen eine Kammer. In Bayern lehnte die Landesregierung die Einrichtung einer solchen öffentlich-rechtlichen Institution ab. Stattdessen wurde ein Landespflegering gegründet, in dem Pflegekräfte freiwillig und kostenlos Mitglied werden können. Der Deutsche Pflegerat spricht allerdings von einer Mogelpackung: Der lose Interessenverband verwässere die Stimme der professionell Pflegenden.