Bolsonaro-Gegner verlässt nach Todesdrohungen das Land

Mehr Gewalt und Hass in Brasilien?

Wie sehr verändert Brasilien sich unter dem neuen Staatspräsidenten Bolsonaro? Hilfsorganisationen sind besorgt über eine Zunahme von Hass und Gewalt. Ein homosexueller Abgeordneter hat derweil aus Todesangst das Land verlassen.

Brasilien steht am Scheideweg: Politisch links oder rechts? / © Leo Correa (dpa)
Brasilien steht am Scheideweg: Politisch links oder rechts? / © Leo Correa ( dpa )

Der Abgeordnete der brasilianischen Linkspartei PSOL, Jean Wyllys (44), hat nach Morddrohungen Zuflucht im Ausland gesucht. Das berichtet die Zeitung "Folha de S. Paulo" am Freitag. Der homosexuelle Wyllys, der seit Jahren eine Fehde mit dem seit Januar amtierenden Präsidenten Jair Bolsonaro austrägt, will demnach aus Sicherheitsgründen auf sein Mandat verzichten.

Im Oktober war der Abgeordnete, der sich für die Rechte homo-, trans- und intersexueller Menschen einsetzt, wiedergewählt worden; am 1. Februar sollte er seine dritte Amtszeit antreten.

Rückkehr ungewiss

Derzeit halte er sich an einem unbekannten Ort auf und werde nicht nach Brasilien zurückkehren, sagte er der Zeitung. Er rechtfertigte dies mit dem zunehmend gewalttätigen Klima gegen LGBT-Aktivisten. Nach dem Mord an seiner Parteikollegin Marielle Franco im März 2018 stand Wyllys unter Polizeischutz. Auch gegen den Parteikollegen Marcelo Freixo gibt es seit Jahren Morddrohungen. In beiden Fällen gehen die Behörden von Aktivitäten paramilitärischer Milizen aus.

Wyllys war der erste Parlamentarier in Brasilien, der sich offen zu seiner Homosexualität bekannte. Mit Bolsonaro verbindet ihn seit Jahren eine offene Feindschaft. Im Kongress hatten sich die beiden gegenseitig verbal angegriffen, Bolsonaro bezeichnete Wyllys mehrmals als «Schwuchtel». Nachdem Bolsonaro während der Abstimmung zur Absetzung der damaligen Präsidentin Dilma Rousseff Anfang 2016 die Militärdiktatur hochleben ließ, bespuckte Wyllys den damaligen Parlamentskollegen.

"Geh mit Gott und werde glücklich"

Weiter sagte Wyllys der "Folha", auch die jüngsten Enthüllungen um Bolsonaros Sohn Flavio hätten ihn zur Flucht bewegt. Flavio, der im Oktober zum Senator gewählt wurde, soll einer Milizen-Gruppe nahestehen, die in den Mord an Franco verwickelt sein könnte. Minuten, nachdem Wyllys Entscheidung öffentlich wurde, erklärte Präsident Bolsonaro per Twitter, es sei "ein großartiger Tag". Sein Sohn Carlos twitterte ebenfalls: "Geh mit Gott und werde glücklich".

Nachdem die beiden Tweets auf massive öffentliche Kritik stießen, erklärten die Bolsonaros, ihre Textbotschaften hätten sich nicht auf Wyllys, sondern auf Bolsonaros Rückreise vom Weltwirtschaftsforum in Davos bezogen. An Wyllys' Stelle soll nun Parteikollege David Miranda das Parlamentsamt für die PSOL antreten. Miranda ist ebenfalls LGBT-Aktivist und mit dem US-amerikanischen Journalisten Glenn Greenwald verheiratet. Dieser war 2013 weltweit durch seine Reportagen um den ehemaligen NSA-Beamten Edward Snowden bekannt geworden.

Misereor sieht Zunahme von Hass und Gewalt in Brasilien

Nach Einschätzung des katholischen Hilfswerks Misereor nehmen Hass und Gewalt in Brasilien unter dem neuen Präsidenten Jair Bolsonaro zu. «Soziale Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen sind stark kriminalisiert worden, gesellschaftliche Debatten werden mit Hass geführt», sagte Misereor-Referentin Anna Moser am Freitag in einem Interview der Zeitschrift "Publik-Forum".

Mit den Positionen des Präsidenten, der auf die Rodung der Urwälder für die Export-Landwirtschaft und auf Großgrundbesitz setzt, werde "letztendlich im ganzen Land Gewalt gerechtfertigt", so Moser. Die Rechte von Kleinbauern und Indigenen würden immer mehr eingeschränkt. So habe Bolsonaro die Bundesbehörde für indigene Angelegenheiten geschwächt und deren Kompetenzen auf das Agrarministerium verteilt. Die treibe traditionell die Ausbeutung des Amazonasgebietes voran.

Misereor in Brasilien

Misereor unterstützt den Angaben zufolge derzeit 170 lokale Partner in Brasilien mit jährlich rund 13 Millionen Euro.

Außerdem helfe Misereor dabei, gewalttätige Übergriffe auf Landarbeiter und Indigene aufzuklären, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen zu können. Das sei aber "wegen der Verstrickung von Agrobusiness und Politik sehr schwierig", sagte Moser.


 

Jair Bolsonaro / © Silvia Izquierdo (dpa)
Jair Bolsonaro / © Silvia Izquierdo ( dpa )
Quelle:
KNA