Hinweis der Redaktion: Im Februar 2021 wurde bekannt, dass Pater Werenfried van Straaten versuchte Vergewaltigung vorgeworfen wird. Der vorliegende Inhalt auf DOMRADIO.DE wurde vor diesen Erkenntnissen veröffentlich. Aktuelle Informationen finden Sie hier: https://www.kirche-in-not.de/allgemein/aktuelles/informationen-zum-artikel-in-christ-und-welt/
Zu einem mutigen Christsein – auch gegen den Mainstream – und zur Verteidigung der Religionsfreiheit in allen Teilen der Welt hat Gerhard Ludwig Kardinal Müller aufgerufen. Gleichzeitig gehe es darum, sich mit dem eigenen Glaubenszeugnis gegen eine zunehmende De-Christianisierung der europäischen Kultur und Zivilisation stark zu machen, für die eigenen Werte und Überzeugungen einzutreten und Kirche als Zeichen und Werkzeug des universalen Heilswillen Gottes, der die Welt von Leiden und Gewalt erlösen will, zu begreifen, forderte der Erzbischof. Der Gast aus Rom sprach auf Einladung des katholischen Hilfswerks "Kirche in Not" vor mehreren hundert Zuhörern im Kölner Maternushaus.
Müller: Glaube soll ausgelöscht werden
Momentan werde der Kampf gegen den Glauben an Christus in dem von einzelnen Staaten und Nichtregierungsorganisationen finanzierten Programm einer Entchristianisierung christlich geprägter Kulturen generalstabsmäßig organisiert und international durchgeführt. Der Glaube an Gott als Ursprung und Ziel allen Seins und jeder Person solle ausgelöscht und durch eine materialistische Konsumhaltung, in der sich die Befriedigung des sinnlichen Genusses als das heimliche Heiligtum dieser Ersatzreligion enthülle, ersetzt werden, analysierte der Referent.
Anfänge eines solchen "antichristlichen Tsunamis" habe es bereits in der Aufklärungsphilosophie des 18. Jahrhunderts gegeben, als christliche Symbole, Feste und Namen aus der Öffentlichkeit verschwinden sollten und an dessen Stelle ein "Kult der Vernunft, des Fortschritts und der Wissenschaft“ getreten sei. Später seien es die antisemitischen Nazi-Demagogen gewesen oder – in der Sowjetunion – der militante Atheismus, der sich die totale Vernichtung des Christentums zum Ziel gesetzt habe, unter anderem mit der Argumentation, Religion sei Gift für den Menschen und ein jenseitiges Leben leere Versprechung. Dabei sei gerade diese primitive Gegenüberstellung von Jenseits und Diesseits typisch für den neuzeitlichen Atheismus, sagte der Theologe.
Religion keineswegs vom Aussterben bedroht
"In Wirklichkeit bedingen sich gerade die umfassende Gottorientierung und konkrete Weltverantwortung wechselseitig. Eine grundlegendere Kritik an den Auswüchsen des Kapitalismus, der mit dem Kommunismus im Wurzelgrund des Materialismus verwandt ist, als die katholische Soziallehre, gibt es nicht. Ihre unerschütterliche Basis ist die Gottebenbildlichkeit des Menschen", konstatierte Müller. "Wir haben die Leitkultur Gottes; eine Kultur des Lebens, die der Antikultur des Todes so weit überlegen ist wie Gott dem Teufel."
Während man in den politischen Atheismen den sicher erwarteten Tod der Religion durch die Ausrottung ihrer Anhänger beschleunigen wolle, werde in den liberalen Kreisen in Kürze der natürliche Tod der Religion erwartet – mit dem irreversiblen Prozess einer "Entzauberung der Welt" durch Wissenschaft und Technik. Doch Religion sei keineswegs vom Aussterben bedroht, hielt der Kurien-Kardinal dagegen.
In Ländern mit einer totalitären Interpretation der Religion – beispielsweise im militanten Islamismus, aber auch in Teilen des Hinduismus und Buddhismus – bestehe wiederum eine ganz andere Herausforderung, sagte Müller. "Wenn Religion, die eine Konstante am Geistvollzug des Menschen ist, wesentlich Verehrung Gottes und Dankbarkeit für das empfangene Leben bedeutet, dann ist es doch mit dem Glauben an den einen Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde, völlig unvereinbar, den Urheber des Lebens zum Auftraggeber seiner Vernichtung zu machen." Religiös begründeter Terrorismus sei ein Widerspruch in sich – so wie es auch keinen religiös begründeten Atheismus gebe.
Verkündigungauftrag der Kirche betrachten
Für Christen gelte, das Geheimnis des Kreuzes im Auge zu behalten. "Es reicht nicht", so Müller, "dass wir als Priester und Laien in einigen Ländern relativ sicher leben und uns Religionsfreiheit garantiert wird. Wir sehen uns in brüderlicher Gemeinschaft mit all den Millionen Christen, die weltweit verfolgt werden und ihre Treue zu Christus mit dem Leben bezahlen. Wir müssen solidarisch sein. Wenn ein Glied leidet, leiden auch die anderen", prangerte er die Verfolgung von Christen weltweit an.
Im weltweiten Maßstab befinde sich das Christentum "in der Zange zwischen kirchenfeindlichen Regimen und den Ideologien des de-christianisierten Westens, die uns vor die Wahl der Anpassung oder Marginalisierung stellen". Unter diesem Druck biete sich die Selbstsäkularisierung der Kirche zwar als bequemer Ausweg an. Doch warnte Müller davor, die Existenz der Kirche allein mit ihrem sozialen Einsatz und daher ihrer Nützlichkeit für die Gesellschaft zu rechtfertigen – anstatt sie mit ihrem Verkündigungsauftrag als ein von Christus gestiftetes Werkzeug des universalen Heilswillen Gottes zu betrachten, der die Menschen von Entwürdigung und Ausbeutung, von Sünde, Ungerechtigkeit und Tod erlösen wolle.
"Wärme kann nur entstehen, wenn der Ofen geheizt wird", betonte Müller unter dem zustimmenden Applaus seiner Zuhörer. Christliche Mission sei das Gegenteil von Propaganda, die nur auf die Manipulation des Gewissens ziele – "wir wollen keine Anhänger für eine Ideologie rekrutieren". Da Glaube seinem innersten Wesen nach Liebe sei, die jeden mit dem Gott der dreifaltigen Liebe verbinde, könne er nur in der äußeren und – noch wichtiger – inneren Freiheit vollzogen werden. "Glaube und Freiheit gehören zusammen", bekräftigte der Kardinal.
Christen in Venezuela und in der Ukraine
Dass derzeit die Realität für Christen in Venezuela, Afrika oder auch der Ukraine dennoch anders aussieht, weil sie in diesen Ländern wegen ihres Glaubens unterdrückt werden, machte ein Podiumsgespräch mit Padre Alvaro Valderrama Erazo aus Venezuela, Bischof Juan-José Aguirre Munoz aus der Zentralafrikanischen Republik und Weihbischof Eduard Kawa aus der Diözese Lviv in der Urkraine deutlich.
Sie berichteten unter der Überschrift "Verfolgt und vergessen? Christen in Not jenseits der Schlagzeilen" von den durch Bürgerkrieg erschwerten Bedingungen, unter denen die Kirche in ihrer Heimat momentan zu leiden hätte und Christsein manchmal ein täglicher Kampf sei. Obwohl Venezuela ursprünglich einmal eines der wohlhabendsten Länder weltweit gewesen sei, versinke heute ein Großteil des Landes im Elend. Die humanitäre Krise werde jeden Tag schlimmer. Familien würden auseinandergerissen; fast fünf Million Menschen seien bereits in Nachbarländer geflüchtet, berichtete Alvaro Erazo, der Pfarrvikar in München ist und einer der Projektpartner von "Kirche in Not". Bei diesen Konflikten verteidige die Kirche das Volk. "Wir stehen immer auf der Seite der Armen", betonte der Geistliche.
Von den Wunden der Spaltung seines Landes durch die russische Annexion der Krim sprach auch Weihbischof Eduard Kawa aus der Diözese Lviv/Ukraine, der die vielen Unterstützungsinitiativen der römisch-katholischen und der griechisch-katholischen Kirche in seiner Heimat seit der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 lobte, aber auch den gegenwärtig depressiven Zustand in Teilen der Ost-Ukraine beschrieb, wo der seit 2014 andauernde Konflikt ohne jegliche Perspektive die Menschen müde machte und auch hier viele Familien unter einer Trennung von ihren Angehörigen im Westen des Landes litten. Heute gehe es weniger um die kriegerischen Konflikte mit Russland als um Proteste für die Würde des Menschen und deren verletzte Seele. Und darum, die Armut und Not der durch die kriegerischen Auseinandersetzungen sozial abgehängten Menschen zu lindern, für sie wieder Häuser zu bauen und ihnen das Notwendigste zum Leben zu ermöglichen.
"Wir sind wirklich eine verfolgte Kirche"
Wie Misswirtschaft, Korruption und seit fünf Jahren auch Bürgerkrieg ein Land politisch, ökonomisch und moralisch herunterwirtschaften können, schilderte Bischof Aguirre Munoz. Bei seiner Ankunft in Bangassou vor 38 Jahren sei noch ein ganz normales Leben möglich gewesen, berichtete der gebürtige Spanier und Missionar. Doch radikal-muslimische Söldner aus dem Norden, die die reichen Bodenschätze des Landes plündern wollten, würden in kriegerischen Auseinandersetzungen mit der Anti-Balaka-Bewegung – einer bewaffneten Bürgerwehr aus Einheimischen – für einen anhaltenden Leidensweg der Bevölkerung sorgen.
Mittlerweile seien die Kapellen und Kirchen von unzähligen Banden und Rebellen zerstört, einige Priester ermordet worden. "Wir sind wirklich eine verfolgte Kirche", sagte Aguirre Munoz, betonte aber auch die hoffnungsvollen Projekte, die dank "Kirche in Not" realisiert werden können. Beispielsweise die von dem Hilfswerk finanzierte Ausbildung von Seminaristen und Katecheten mache den Christen in Zentralafrika viel Mut. Auch zum Wiederaufbau von Häusern, damit die vertriebenen Familien zurückkommen könnten, und zur Einrichtung katholischer Schulen, die den Zusammenhalt stärkten, komme von "Kirche in Not" Geld.
Am Ende betonte der Bischof noch einmal, was auch seine Vorredner schon als lebensnotwendiges Hoffnungssignal herausgestellt hatten: "'Kirche in Not' ist überall da, wo Menschen in Not sind. Und Kirche bleibt überall bis ganz zum Schluss und macht als letzte das Licht aus."
Beatrice Tomasetti (DR)