DOMRADIO.DE: Der Oberste Gerichtshof in Pakistan hat beim Freispruch Asia Bibis quasi einen Appell für einen moderaten Islam an die Bevölkerung gerichtet und nutzte als Grundlage dabei den Koran. Was steht denn da drin zum Thema Religionsfreiheit?
Johannes Seibel (Pressesprecher missio Aachen): Es ist in der Tat außergewöhnlich, dass die Richter in der Urteilsbegründung eine eigene Stellungnahme angefügt haben, in der sie aus dem Koran und aus islamischen Schriften zitieren und mit diesen Zitaten darlegen, dass Christen ebenfalls Angehörige einer Religion sind, die der Islam achtet, die auch der Prophet achtet.
Sie zeigen auch anhand dieser Stellen, dass ein Hass geleitetes, Ressentiments geleitetes Vorgehen gegen Minderheiten nicht im Sinne des Islam ist. Das ist hochspannend. Das war auch mit ein Grund, warum die Reaktionen der Fanatiker so extrem ausfielen, weil ihnen dadurch natürlich die Argumentationsgrundlage entzogen wird.
DOMRADIO.DE: Der Konflikt zwischen dem Islam als Staatsreligion und den religiösen Minderheiten im Land könnte an der politischen DNA Pakistans liegen. Wie genau sieht diese DNA denn aus?
Seibel: Die politische DNA Pakistans ist dadurch geprägt, dass nach dem Zerfall von Britisch-Indien und der Gründung des Staates Pakistan der Islam als eine Art nationale Klammer dienen musste. Und wenn eine Religion als nationale Klammer dienen muss, dann geht es bei der Frage nach Herrschaft und Macht immer darum, wer die richtige Interpretation des Islams hat.
Seit der Staatsgründung Pakistans gibt es innerislamisch hier Diskussionen und Auseinandersetzungen zwischen einem eher moderaten Islam und einem politisierten Islam. Dieser politisierte Islam ist nach den gesamten Kriegen im Nahen Osten, nach 9/11, nach dem Krieg in Afghanistan in Pakistan sehr stark geworden. Der Islam ist dort jetzt ein innenpolitischer Machtfaktor. Diese Erstarkung des politisierten Islam ist für die Minderheiten ein großes Problem.
Deshalb ist dieses Urteil so interessant, weil es diesen Grundkonflikt zwischen einem moderaten Islam in Pakistan und dem politisierten Islam darstellt. Für die Minderheiten ist genau das der Ansatzpunkt und dieses Urteil jetzt der Ansatz dafür, dass sich möglicherweise auch für die Minderheiten die Lage bessern kann.
DOMRADIO.DE: Was kann das denn ganz konkret bedeuten für die Christen im Land? Viele sitzen ja auch aktuell noch im Gefängnis.
Seibel: Ein Beispiel ist das Blasphemie-Gesetz. Das Blasphemie-Gesetz ist aus der britischen Kolonialzeit übernommen worden. Es hat bis 1977, bis zur Militärdiktatur Zia ul-Haqs, kaum eine Rolle gespielt. Es gab kaum Verhaftungen. Danach wurde es als politisches Instrument interessant.
Das ist jetzt für die Minderheiten - nicht nur die Christen, sondern auch Ahmadiyya, Schia oder Bahai - der spannende Punkt. Gelingt es anhand des Urteils zu Asia Bibi, den Missbrauch dieser Blasphemie-Gesetze durch politische Fanatiker einzuschränken, sprich Anklagen wegen Blasphemie nicht mehr zuzulassen? Das ist das eine. Es kann also sein, dass sich das verbessert.
Und es gibt auch innerhalb der pakistanischen Justiz und innerhalb des pakistanischen Staates ein Interesse, dieses Machtinstrument Blasphemie-Gesetze den Fanatikern aus den Händen zu nehmen.
Gleichzeitig ist es für die Minderheiten, auch für die Christen, die dort zweifellos diskriminiert, bedrängt und zum Teil verfolgt werden, die Hoffnung, dass dieses Urteil ein Signal ist, andere Urteile und andere Berufungen so ausgehen zu lassen, dass die Betroffenen freigesprochen werden beziehungsweise aus dem Gefängnis kommen.
Ich sehe dieses Urteil auch als einen Versuch des Staates, ein Signal des Staates, zu sagen: "Wir wollen ein anderes Pakistan".
Das Interview führte Verena Tröster.