Unter der Regie Fatih Akins erobert der Serienmörder Fritz Honka die große Leinwand des Berlinale-Palasts. Es ist ein beeindruckender, vor allem aber schwer verstörender Auftritt, den man so schnell nicht wieder vergisst.
Ohne Zweifel gut gemacht
Seit seinem Gewinn des Goldenen Bären mit "Gegen die Wand" 2004 ist Fatih Akin völlig zurecht einer der fest gesetzten Gäste des Festivals. Er gehört zu den wenigen deutschen Regisseuren, die rasantes, leidenschaftliches und spannendes Kino machen. Ob "Der Goldene Handschuh" an die alten Erfolge anknüpfen kann?
Der Film ist ohne Zweifel gut gemacht. Akins Geschichte folgt Heinz Strunks gleichnamigem Roman von 2016 mit viel Liebe zum Detail: Dekor, Zeitgeist und die besondere Stimmung zwischen Nachkrieg und Turbokapitalismus sind mit Händen zu greifen. Akin konzentriert einen Strang der Handlung auf die abgerockte Wirtschaft "Zum Goldenen Handschuh", einen Treffpunkt der Versager, Verlorenen und Verzweifelten. Hier findet Honka seine gealterten, unglücklichen, alkoholkranken Opfer. Von hier aus brechen sie auf in Honkas Wohnung, eine dürftige Mansarde im damals ärmlichen Ottensen.
Honka will Sex, die Frauen nicht, also tötet er sie. Ihre Leichen zersägt er und bewahrt die Stücke auf dem Dachboden, gleich hinter den dünnen Holzwänden seines Zuhauses. So war es damals, in den 70ern, und so erzählt es Heinz Strunk.
Winzige Momente der Heiterkeit
Doch je länger wir dem von Jonas Dassler in meisterlicher seelischer wie körperlicher Verformung gespielten Honka durch seine triste Existenz folgen, desto deutlicher stellt sich die Frage nach dem Warum: Was hat Honka zu dem gemacht, was er ist? Warum sehen wir alles aus der Perspektive des Täters? Und: Wieso soll man sich anschauen, wie Frauen gedemütigt, geschlagen, vergewaltigt, erwürgt, zerstückelt, weggeworfen werden?
Fragen wie diese zielen ins Moralische, und es sei festgehalten: Dies ist ein eminent gut gemachter Film. Dassler und seine Kolleginnen Margarethe Tiesel, Katja Studt, Martina Eitner-Acheampong und Jessica Kosmalla führen vor, wie es sich lebt (oder stirbt) in der untersten Outsider-Hölle, in der es Schnaps und noch mehr Schnaps gibt, kitschige Schlager, dumme Sprüche und eine tief sitzende Gleichgültigkeit. Adamos "Es geht eine Träne auf Reisen" wird zum Leitmotiv des Schlachtens. Es gibt sogar winzige Momente der Heiterkeit, wenn der alte Dornkaat-Max (Hark Bohm) seine Mikrowitze zum besten gibt.
Ein guter Film. Aber so großartig der Ausflug in diese Welt des Jammers inszeniert ist, so ärgerlich bleibt der Gesamteindruck. Denn während Strunks Roman "Der Goldene Handschuh" das Geschehen um Honka mit reichhaltigen Kontexten versieht, zeigt uns Akin bloß, wie es war oder gewesen sein mag. Strunk baut eine parallele Welt gutsituierter Verlogenheit auf; er zeigt die Vorgeschichte des Täters, er hütet sich vor dem Risiko des Voyeurismus.
Gefilmter Schrecken
Indem er am scheinbar Faktischen festhält, verschiebt Akin den Akzent gegenüber dem Buch. Der gefilmte Schrecken mag zunächst größer erscheinen als der geschriebene, doch ist seine Wirkung begrenzt.
Nicht das Schreckliche ist der Feind des Gelungenen, sondern der Ekel. Das wusste schon Schiller, und es stimmt auch heute: Irgendwann wendet man sich ab von Honka und schaut ihm nur noch zu, diesem ebenso armseligen wie widerlichen Mängelexemplar der Gattung Mann.
Ein Film muss nichts erklären; aber er sollte versuchen zu verstehen. Das wäre komplexer als die Freakshow, die Akin inszeniert. Näher am Schrecken wäre es mit Sicherheit.
Von Hans-Joachim Neubauer