Voller Stolz betrachtet Julia Grundmann die bronzene Plakette, die Chorleiter Oliver Sperling ihr soeben umgehangen hat: als "Zeichen der Dankbarkeit für geleistetes Engagement". So steht es auf der dazugehörigen Urkunde, die der Domkantor vor Beginn der internen Ehrung noch einmal vor allen anwesenden Chorsängerinnen verlesen hat und dann insgesamt 18 Mädchen seines Ensembles überreicht.
Denn einmal im Jahr wird die offizielle Mädchenchor-Medaille verliehen: an alle Chormitglieder, die dann seit fünf Jahren im Mädchenchor am Kölner Dom singen und für ihre Treue, Beständigkeit und Zuverlässigkeit ausgezeichnet werden.
Dreimal in der Woche sind Proben angesagt
Auch Katharina Brisch und Laura Santos freuen sich sichtlich. Endlich ist das ersehnte Ziel erreicht. Denn die Chormedaille, die die 14-Jährigen von nun an bei jedem Auftritt im Kölner Dom über ihrem weißen Gewand tragen dürfen, betrachten sie als erstrebenswerte Belohnung: für Disziplin, viel Fleiß und Durchhaltevermögen.
Auch wenn es schon mal "Durststrecken" in der Vergangenheit gab, wie sie eingestehen. Schließlich proben die Sängerinnen dreimal in der Woche im Edith Stein-Saal, dem Probensaal der Kölner Dommusik im Lindenthaler Chorzentrum. Und nach einem acht- oder neunstündigen Schultag in der Erzbischöflichen Liebfrauenschule, wo sie die Musikprofilklasse besuchen, kann schon mal die Erschöpfung die Oberhand gewinnen. "Aber nur vorübergehend", lacht Laura, "und auch nur weil der Montag mit seinem strammen Programm eine echte Herausforderung ist."
Trotzdem steht die Neuntklässlerin hinter dem selbst gewählten Pensum. Schließlich will sie es so: nach Unterrichtsschluss erst bei der Jazz-Band mitmachen, dann zum Klavierunterricht und schließlich noch in die Chorprobe. Das könne in der Summe schon manchmal richtig viel sein, aber am Ende entschädige das Ergebnis. "Ich freue mich, wenn ich dann meinen Stress beim Singen richtig rauslassen kann. Die Musik tut mir einfach gut; mit ihr kann ich mich auch ohne Worte ausdrücken. Mit einem Lied auf den Lippen kann man, auch wenn’s mal hart kommt, die beste Laune der Welt haben!"
Glücksgefühl nach Konzertauftritten
In der großen Chorgemeinschaft verfolgten alle dasselbe Ziel: eben gute Musik zu machen. Eine solche gemeinsame Motivation schaffe Geborgenheit, erklärt sie und schwärmt von dem Glücksgefühl, das sie besonders stark erlebt, wenn es nach einem Konzertauftritt Beifall gibt.
In der Kirche am Sonntag beim Kapitelsamt sei das natürlich nicht so. Aber auch dann wüsste sie, dass ihr Chorgesang den Menschen Freude mache. "Wir bekommen so viel Bestätigung und Lob nach einer Messe. Wie schön, dass wir mit unserer Musik andere bereichern können", findet Laura.
Schon als kleines Mädchen sei ihr musikalisches Ziel der Mädchenchor am Kölner Dom gewesen, wenn sie mit ihrem Vater dort die Sonntagsmesse besucht habe. "Ich wollte unbedingt in diesen Chor und immer das nächstmögliche Level erreichen. Auch heute will ich mich immer noch weiterbilden und jede angebotene Förderung, wie beispielsweise die regelmäßige Stimmbildung, in Anspruch nehmen."
Der Chor steht an erster Stelle
Auch wer mal gefehlt und eine Probe versäumt habe, könne sich – bei aller Verantwortung, die man gegenüber den Mitsängerinnen natürlich auch hätte – stets auf die anderen verlassen und Versäumtes schnell ausgleichen. "Eigentlich funktioniert diese Chorgemeinschaft wie eine große Familie", findet Julia, für die die Chormedaille ein "zusätzlicher Ansporn" ist, in jedem Fall weiterzumachen.
Rückblickend sei sie heute ihren Eltern dankbar, dass sie sie auch nach einem "Durchhänger" im 5. Schuljahr positiv motiviert hätten, nicht aufzugeben. Diese Beharrlichkeit hat sich ausgezahlt; heute singt die 15-Jährige im Kammerchor des Mädchenchores und ist eines von 64 Mädchen in dieser Altersgruppe.
Der Chor käme heute bei ihr an erster Stelle, betont sie. In einer solchen Gemeinschaft zu singen sei einfach eine tolle Erfahrung, die sie nicht mehr missen wolle. Da stünde alles andere hinten an.
Bewusste Entscheidung für eine Chorzugehörigkeit
Probenwochenenden, die Gestaltung der sonntäglichen Kapitels- und Pontifikalämter, Konzerte sowie die Teilnahme an Opernprojekten und Wettbewerben – es ist die vielseitige Mischung, die den Chor für Katharina so attraktiv macht. Sogar so sehr, dass sie sich nun auch keinen Auslandsaufenthalt – wie Laura demnächst mit Amerika – gönnen will.
Als Grundschülerin war sie auf der Kölner Domsingschule. "Und das mit dem Ziel, im Mädchenchor am Dom zu singen." Auch wenn sie zunächst da nur hineingerutscht sei, habe sie irgendwann eine bewusste Entscheidung getroffen. Wenn sie nun ins Ausland ginge, würde sie die im Sommer anstehende Südafrika-Reise des Chores verpassen. Dabei seien diese Chorfahrten, wie zuletzt zum Chorfestival im oberitalienischen Lecco oder auch zum Bundeschorwettbewerb nach Freiburg im vergangenen Jahr, immer etwas ganz Besonderes.
Außerdem mag sich Katharina nicht für einen längeren Zeitraum von ihren Chorfreundinnen trennen. "Uns bindet die Begeisterung für die Musik. Wir arbeiten auf denselben Erfolg hin. Solche Erfahrungen – gerade wenn es darum geht, alles zu geben, um einen der vorderen Plätze zu belegen – schweißen zusammen", erklärt sie ihre Motivation.
Opernprojekte sind besonders aufregend
Ein solches gemeinsames Ziel war für die drei lange Zeit auch die begehrte Auszeichnung mit der Chormedaille. "Die zu bekommen ist ein Muss", unterstreicht Katharina. "Denn die will einfach jeder haben", ergänzt Julia. Gerade weil das Engagement für den Chor richtig groß sei, meint Laura, würden mit dieser Würdigung Wertschätzung und Anerkennung zum Ausdruck gebracht, zumal unter Gleichaltrigen dieses zeitaufwendige und höchst anspruchsvolle Hobby schon mal eher belächelt, jedenfalls nicht unbedingt als vollwertig anerkannt werde.
Dabei sei es doch eigentlich wie Hochleistungssport, sagt sie. Mit vergleichbar vielen Trainingseinheiten. Das müsse ihr schließlich erst einmal einer nachmachen: immer konzentriert bei der Sache sein und vieles gleichzeitig koordinieren, die Atemtechnik beherrschen, auf die Intonation achten, sich in den Gesamtklang integrieren, oft vom Blatt singen und stets abrufbare Leistung auf den Punkt vorweisen.
Das gelte gerade auch für die Opernprojekte, wo es im Zusammenspiel mit echten Profis auf Professionalität ankomme. "Das ist immer eine aufregende Zeit", sagt Laura und lacht übermütig. "Mit Kostüm und Schminke – da kommt man sich fast wie eine echte Opernsängerin vor!"
Große Fortschritte im Verlauf von fünf Jahren
Dass es mit derart motivierten Sängerinnen Freude macht zu arbeiten, sieht man auch Chorleiter Sperling an diesem Sonntag an. "Das ist ein Jahrgang, auf den ich mich total verlassen kann", lobt er die Sängerinnen, als es nach der Messe noch ein Erinnerungsfotos am Dreikönigenschrein gibt. "In den fünf Jahren, in denen wir im Ensemble miteinander Literatur aus den unterschiedlichsten Jahrhunderten erarbeiten, haben sie bereits einen sehr kompakten und selbständigen Klang entwickelt. Jeder Fortschritt ist deutlich zu hören", sagt der Domkantor.
Dass sich die kontinuierliche Arbeit miteinander nachweislich auch mit einer außergewöhnlichen Stimmqualität auszahlt und das gleich bleibend hohe Niveau des Mädchenchores im Verlauf der letzten Jahre immer wieder auch mit (Ersten) Preisen bei Wettbewerben belohnt wurde, sieht Sperling ebenfalls im Zusammenhang mit dem großen persönlichen Einsatz, den jedes einzelne der Mädchen erbringt.
"Tria sunt munera" ist die Erkennungsmelodie der Domchöre
Die Medaille selbst geht auf einen Entwurf des Kölner Künstlers Egino Weinert zurück. Als Motive zeigt sie auf der einen Seite die "Anbetung der Könige" als unverkennbares Zeichen für den Kölner Dom und auf der anderen die ersten Noten des gregorianischen Introitus "Tria sunt munera".
Auch diese Darstellung ist von symbolischem Wert: Denn diese Komposition müssen alle Chorsängerinnen und -sänger an der Kathedrale bei ihrem feierlichen Aufnahmeritual zu Beginn eines neuen Kalenderjahres beherrschen. Außerdem ist sie längst so etwas wie die Erkennungsmelodie der Chöre am Kölner Dom geworden.
Beatrice Tomasetti