Historiker: Verfahren für Seligsprechung von Pius XII. aussetzen

"Wer hat welche Weichen gestellt?"

Welche Rolle hat Pius XII. in der NS-Zeit gespielt? Für eine Aussetzung dessen Seligsprechungsverfahrens plädiert der Historiker Volker Reinhardt. Dies solle so lange gelten, "bis die Archive mehr Klarheit über seine politische Rolle liefern".

Papst Pius XII. / © CNS photo (KNA)
Papst Pius XII. / © CNS photo ( KNA )

Das sagte der im schweizerischen Fribourg lehrende Experte für die Geschichte des Papsttums der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt" (Donnerstag).

Eine Seligsprechung zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu forcieren, reiße nur unnötig alte Wunden auf, so Reinhardt. "Das historische Urteil ist noch nicht endgültig gefällt. Vieles ist noch virulent. Ob es jemals gefällt wird, muss allerdings offen bleiben." Das Verfahren zur Seligsprechung von Pius XII., dessen Amtszeit von 1939 bis 1958 dauerte, läuft seit längerer Zeit.

Öffnung der Vatikanarchive angekündigt

Papst Franziskus hatte Anfang März angekündigt, die Dokumente der Vatikanarchive zu diesem Pontifikat ab dem 2. März 2020, dem 81. Jahrestag der Wahl Eugenio Pacellis zu Papst Pius XII., zugänglich zu machen. Dies wird von der Forschung seit Jahren verlangt.

Prägend für das öffentliche Bild von Pius XII. ist das 1963 uraufgeführte Theaterstück "Der Stellvertreter" von Rolf Hochhuth.

Darin wirft der Schriftsteller dem Papst vor, in der NS-Zeit zu wenig gegen den Mord an den Juden getan zu haben. Verteidiger des Papstes argumentieren demgegenüber, Pius XII. habe sich die Maxime "Retten statt Reden" zu eigen gemacht und damit beispielsweise 80 Prozent der römischen Juden vor dem Tod bewahrt.

Meinungen gehen weit auseinander

Es gebe nur wenige Pontifikate, "über die die Meinungen derart weit auseinandergehen", sagte Reinhardt. "Vielleicht liegt es auch daran, dass er der letzte Papst im alten Stil war, noch das 'Ancien Regime' vertrat und den Stuhl Petri als eine Bastion gegen das Böse draußen in der Welt ansah. Seine Familie war mit dem Vatikan historisch verbunden, er war ein Produkt des Apparates."

Nach dem Zweiten Weltkrieg habe sich Pius XII. in der Rolle eines Retters von Rom präsentiert, so Reinhardt. "Die historischen Quellen gaben das allerdings nicht her." Ihn persönlich würde interessieren, "wie die fatalen Entscheidungen im Vatikan zwischen 1939 und 1945 letztlich zustande kamen", so der Historiker. "Wer hat welche Weichen gestellt? Gab es tatsächlich Gewissensnöte während der Entscheidungsprozesse, wie hinterher behauptet wurde?"

Auch sei unklar, ob der Papst persönlich von der "Rattenlinie" in Kenntnis gesetzt wurde, über die NS-Kriegsverbrecher nach dem Zweiten Weltkrieg mithilfe des Vatikan nach Südamerika gelangten. Aber das alles sei in den Quellen "ganz sicher so nicht festgehalten", fügte Reinhardt hinzu. "Wir werden als Historiker auch weiterhin auf unsere Fähigkeit zu deuten angewiesen sein." Grundsätzlich solle die Aufarbeitung jedoch "ohne Parteinahme und Voreingenommenheit geschehen".


Quelle:
KNA