Bericht zur Pressefreiheit weltweit

Verunglimpfung, Hetze, Mord

Wie bedroht ist die Pressefreiheit in der Welt? An diesem Donnerstag hat die Organisation "Reporter ohne Grenzen" ihre Rangliste der Pressefreiheit veröffentlicht. Wieder zeigen sich beunruhigende Entwicklungen.

Die Bedeutung von professionellem Journalismus ist hoch / © Frank Molter (dpa)
Die Bedeutung von professionellem Journalismus ist hoch / © Frank Molter ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie hatten im letzten Jahr festgestellt, dass sich die Lage der Pressefreiheit nirgends anders so schlimm verschlechtert hat wie in Europa. Jetzt ist die neue "Rangliste der Pressefreiheit" erschienen. Wie sieht es aktuell aus?

Anne Renzenbrig (Pressereferentin für Reporter ohne Grenzen): Auch in diesem Jahr muss man leider sagen, dass Europa zu den Weltregionen gehört, in denen sich die Situation am stärksten verschlechtert hat. Noch schlimmer war es nur in Nord- und Südamerika. Das liegt auch daran, dass es immer mehr zu systematischer Hetze gegen Journalistinnen und Journalisten kommt, die ein feindseliges Klima schafft. Ein Klima der Angst herrscht jetzt in Ländern, in denen sich Journalistinnen und Journalisten eigentlich sicher fühlen sollten.

DOMRADIO.DE: Das heißt, das, was Sie untersuchen, ist nicht immer nur die Frage, ob Medien verboten oder von Regierungschefs unter Druck gesetzt werden, sondern es geht auch um die allgemeine Situation, wo Reaktionen vom Volke ausgehen?

Renzenbrig: Genau. Zum Teil auch von Politikern. Das ist auf jeden Fall ein wichtiger Aspekt. Es gibt leider mehrere Wege, die Pressefreiheit einzuschränken. Klassisch ist natürlich, dass Journalistinnen und Journalisten inhaftiert, Medien verboten oder Webseiten zensiert werden. Aber es gibt auch Gesetze, die missbraucht werden können, um gegen Journalisten vorzugehen, und natürlich auch systematische Hetze, durch die Medien verunglimpft werden, wie das zum Beispiel auch in den USA unter Präsident Trump passiert. Er verunglimpft Journalistinnen und Journalisten systematisch, indem er sie als Fake-News-Schaffende bezeichnet.

DOMRADIO.DE: Prominente Fälle wie der um Deniz Yücel – sind die in der Türkei etwa nur die Spitze des Eisberges?

Renzenbrig: In der Türkei, muss man sagen, war der Fall Deniz Yücel – er ist ja mittlerweile zum Glück wieder in Deutschland, auch wenn das Verfahren gegen ihn noch läuft – schon eine Eskalation, auch in den deutsch-türkischen Beziehungen. Man darf aber nicht vergessen, und das ist etwas, was wir wirklich immer wieder betonen müssen, dass sich die Situation für Journalistinnen und Journalisten in der Türkei nicht verbessert hat – auch nicht, nachdem Deniz Yücel freigelassen wurde und er wieder nach Deutschland reisen konnte.

Dort sitzen noch immer mindestens 100 Journalistinnen und Journalisten in Haft. Das ist leider ein trauriger Rekord. Immer noch stehen Medienschaffende vor Gericht und werden wegen absurder Terrorvorwürfe verurteilt. Deswegen versuchen wir daran zu erinnern, dass man immer noch auf die Türkei schauen sollte. Denn für die türkischen Kolleginnen und Kollegen hat sich dort leider gar nichts verbessert.

DOMRADIO.DE: Weltweites Aufsehen erregte der Fall von Jamal Kashoggi, der ermordet wurde. Ist das eine neue Dimension auch für Sie als "Reporter ohne Grenzen"? 

Renzenbrig: Der Fall war in seiner Brutalität eine neue Dimension. Was wir aber beobachten, ist, dass Journalistinnen und Journalisten auch im Exil verfolgt oder bedroht werden. Zum Teil haben wir das in Deutschland mitbekommen, hier türkische Journalistinnen und Journalisten angefeindet wurden.

Aber auch vietnamesische Exil-Journalisten, die hier in Berlin leben und sich eigentlich sicher fühlen sollten, sind betroffen. Man muss aber dazusagen, dass das natürlich nicht das Ausmaß angenommen hat und in keinster Weise vergleichbar ist mit der Brutalität des Falls von Jamal Kashoggi.

DOMRADIO.DE: Wenn man das letzte Jahr mit dem aktuellen vergleicht und die im Zusammenhang mit ihrer Arbeit getöteten Journalisten anguckt, ist die Entwicklung da rückläufig oder sind es mehr Morde geworden?

Renzenbrig: Die Rangliste bezieht sich hauptsächlich auf das Jahr 2018, in dem mindestens 80 Medienschaffende ermordet worden sind. Das sind auf jeden Fall mehr als im Vorjahr. Es gibt einige Länder, in denen die Arbeit als kritischer Journalist, als kritische Journalistin lebensgefährlich ist.

Dazu gehört zum Beispiel Afghanistan, wo durch gezielte Anschläge Medienschaffende und Journalisten ermordet wurden. Das ist auch in Mexiko passiert. Ein Problem, das mit der steigenden Anzahl zusammenhängt, ist auch die Straflosigkeit weltweit. Das bedeutet, dass Verbrechen gegen Journalistinnen und Journalisten nicht aufgeklärt werden, dass die Verantwortlichen einfach straffrei davonkommen und die Täter ermutigt werden, einfach weiterzumachen.

DOMRADIO.DE: Warum wird der Mord an Journalisten nicht verfolgt?

Renzenbrig: In Ländern, in denen Korruption herrscht oder die Justiz in die Morde oder Verbrechen mit einbezogen wurde, herrscht oft einfach kein Aufklärungswille vonseiten der Behörden und der Justiz. Wenn die Journalistinnen und Journalisten durch ihre Recherchen etwas brisantes ans Licht bringen wollten, kann da auch ein politisches Interesse, dass diese Morde nicht aufgeklärt werden, durchkommen. Das ist ein weltweites Problem, wo wir sagen: Das müssen wir auf jeden Fall angehen.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Die Pressefreiheit weltweit auf einen Blick ("Reporter ohne Grenzen") / © picture-alliance/ dpa-infografik (dpa)
Die Pressefreiheit weltweit auf einen Blick ("Reporter ohne Grenzen") / © picture-alliance/ dpa-infografik ( dpa )
Quelle:
DR