Ihn habe da "sein katholisches Gewissen etwas geplagt", gab Theo Waigel zu. Eine Geschichte aus den 1990er Jahren: Einem Journalisten gegenüber habe er als Bundesfinanzminister während einer Währungskrise geleugnet, bald einer Geheimkonferenz zur Neufestsetzung von Wechselkursen beizuwohnen.
Eine wahrheitsgemäße Antwort hätte "zu katastrophalen Bewegungen auf den Finanz- und Devisenmärkten geführt", wie Waigel erklärte. Später habe ihm der Wiener Kardinal Franz König versichert, er habe mithin nicht nur so handeln dürfen, sondern gar müssen.
Waigel erzählte diese Anekdote Ende 2018 bei seiner Ernennung zum ersten Ehrensenator der vom Jesuitenorden getragenen Münchner Hochschule für Philosophie (HfPh). Waigel, so die HfPh, sei ein "idealer Botschafter". Die Einrichtung wolle nämlich junge Menschen befähigen, mit Argumenten Standpunkte auch gegen Widerstände zu verteidigen.
Diese Haltung sei auch für Waigel bis heute maßgeblich. Ohne sie "wäre eine visionäre Leistung wie die Einführung des Euro nicht möglich gewesen".
Der Euro - als dessen Vater gilt Waigel. Er schlug den Namen für die Währung 1995 dem Europäischen Rat vor. Damals war er schon sechs Jahre Finanzminister und sollte es drei weitere bleiben. Wie kam es zu dieser - so "Die Welt" - "außergewöhnlichen politischen Karriere eines armen schwäbischen Bauernbuben"?
Geboren wurde Waigel 1939 in Oberrohr in Bayerisch-Schwaben als Sohn eines Maurerpoliers und Nebenerwerbslandwirts. Theodor ("Gottesgeschenk") wuchs katholisch auf - sein Geständnis in der HfPh kam also nicht von ungefähr.
"Glaube als Grundprämisse"
"Der Glaube ist eine Grundprämisse meines Lebens", hat Waigel der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) nun auf Anfrage mitgeteilt.
"Er war mir Halt und Trost in allen Lebensphasen." Glaube und Religion hätten sich für ihn im Laufe seines Lebens aber gewandelt:
"Aus der Theologie der Angst in Kindheit und Jugend ist die Theologie der Zuversicht und der bedingungslosen Liebe Gottes zu jedem Menschen geworden, der keinen Menschen verloren gibt." So spricht ein großer Verehrer des Münchner Theologen und Religionsphilosophen Eugen Biser (1918-2014), der ihm wie auch Helmut Kohl (1930-2017) ein enger Vertrauter war.
Wie der Glaube, so Waigel, habe ihn auch die Politik von klein auf interessiert. 1957 trat er der Jungen Union bei, 1960 der CSU. 1972 kam der promovierte Jurist in den Bundestag, 1988 wurde er Parteichef. 1993 verlor er gegen Edmund Stoiber den Kampf um die Nachfolge des bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl. 1999 beerbte ihn Stoiber an der CSU-Spitze. 2002 verließ Waigel den Bundestag.
Zwar machte die CSU ihn 2009 zum Ehrenvorsitzenden. Doch Waigel hatte es in seiner Partei nicht immer leicht. Im Machtkampf um Streibls Erbe etwa wurden Waigels Eheprobleme instrumentalisiert.
Und so antwortet Waigel heute auf die Frage, was er im Leben rückblickend anders machen würde: "Ich würde heute gegen unfaire persönliche Angriffe entschiedener vorgehen und mir nicht so viel gefallen lassen. Ich würde Gewissensentscheidungen persönlicher Art ohne falsche Rücksichtnahme auf Partei und Kirche früher treffen." Keine falsche Rücksicht etwa in der Flüchtlingsdebatte: Waigel attestierte der CSU frühzeitig, mit ihrem Kurs der Schärfe falsch zu liegen.
"Leidenschaftlicher Kampf für Europa"
Was das Private betrifft, ist Waigel seit 1994 in zweiter Ehe mit der früheren Skirennläuferin Irene Epple-Waigel verheiratet. Mit ihr hat er einen Sohn, mit seiner ersten Frau einen Sohn und eine Tochter.
Mit Familie und Freunden werde er seinen 80. Geburtstag feiern, hat Waigel der KNA verraten: Zuerst geht es am Ostermontag in seinem Wohnort Seeg im Ostallgäu in die Kirche. Dann folgt ein großes Mittagessen im Gasthof. Wie passend zum Ende der Fastenzeit.
Schlemmen kann Waigel dann, ohne wieder sein katholisches Gewissen fürchten zu müssen.
Und danach? Zukunftspläne? Waigel sagt, er wolle sich weiter für kulturelle und soziale Projekte einsetzen, etwa die Renovierung des Seeger Kirchendeckenfreskos. Zudem kündigt er an, seinen "leidenschaftlichen Kampf für ein geeintes Europa" fortzuführen.