Vor 85 Jahren: Muttertag wird Staatsfeiertag in NS-Deutschland

"Ehrfurcht vor der deutschen Frau"

"Urgrund aller Deutschheit", "Burg und Wall des Volkes": Mit solch hehren Worten priesen die Nationalsozialisten die deutsche Mutter. Vor 85 Jahren begingen sie den Muttertag erstmals als offiziellen Staatsfeiertag.

Autor/in:
Christoph Arens
Verleihung des Mutterkreuzes durch die NSDAP am Muttertag 1942 / © akg-images GmbH (epd)
Verleihung des Mutterkreuzes durch die NSDAP am Muttertag 1942 / © akg-images GmbH ( epd )

Nein, erfunden haben sie den Muttertag nicht. Das Urheberrecht dafür hat die amerikanische Methodistin Ann Jarvis, die ab 1907 in einer weltweit erfolgreichen Privatinitiative für einen Mütter-Ehrentag kämpfte. Aber unbestreitbar ist, dass die Nazis dem Muttertag in Deutschland zu einer großen Bedeutung verhalfen. Vor 85 Jahren, im Mai 1934, wurde der zuvor eher privat begangene Tag erstmals zum offiziellen Staatsfeiertag erhoben und als "Gedenk- und Ehrentag der deutschen Mütter" in den NS-Festtagskalender integriert.

Und im Mai vor 80 Jahren, kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, verlieh die Partei erstmals das "Ehrenkreuz für deutsche Mütter", das sogenannte Mutterkreuz. Beides macht deutlich, welche Rolle die NSDAP den Frauen im Dritten Reich zugedacht hatten.

Bestandteil der NS-Bevölkerungspolitik

Dabei war vieles nicht neu: Auch Konservative und Kirchen nutzten den Muttertag schon während der Weimarer Republik, um für den Erhalt der Familie, gegen Individualismus, Berufstätigkeit von Frauen und Sittenverfall Stellung zu beziehen, wie die Historikerin Irmgard Weyrather in ihrem Buch "Muttertag und Mutterkreuz. Der Kult um die deutsche Mutter" schreibt.

Neu am NS-Muttertag war das völkische und rassenideologische Element; der Tag wurde zum Bestandteil der NS-Bevölkerungspolitik. "Heilig soll uns sein jede Mutter deutschen Blutes", so ein Propagandaspruch der Nazis. Besonders kinderreiche Mütter wurden als Heldinnen gefeiert, die für das Fortbestehen der "Ahnenreihe des deutschen Blutes" sorgten.

Musteransprachen, Gedichte und Reden zum Muttertag

In den über den Reichsrundfunk übertragenen Festreden fabulierten Nazi-Größen in den folgenden Jahren über die "Ehrfurcht des Führers vor der deutschen Mutter und Frau". Pseudoreligiös gestaltete öffentliche "Mütterweihen" wurden in Konkurrenz zu christlichen Gottesdiensten angesetzt. Propagandaminister Joseph Goebbels ließ Musteransprachen, Gedichte und Reden zum Muttertag entwickeln.

Die Rede war von biologischer Pflichterfüllung und der Pflicht der deutschen Mutter, möglichst viele gesunde Kinder zur Welt zu bringen. Letztlich müssten Mütter auch bereit sein, das "Leben des geliebten Sohnes" hinzugeben, wenn das Vaterland rufe. Hitler selbst erklärte die Mutterschaft zum "Schlachtfeld der Frau".

Mutterkreuze und Orden

Da durften auch Orden nicht fehlen. Zum Muttertag 1939 wurden die Mutterkreuze erstmals an kinderreiche Frauen verliehen. Ab dem vierten Kind gab es die Auszeichnung in Bronze, ab dem sechsten in Silber, für das achte Kind die Gold-Version.

Das Mutterkreuz wurde zum Statussymbol, brachte Vorteile im Alltag, verstärkte aber auch die soziale Kontrolle. NS-Organisationen, kommunale Behörden, aber auch Privatleute waren vorschlagsberechtigt.

Leistungen als Hausfrau und Mutter

Bei der Begutachtung spielten vor allem Ärzte und Fürsorgerinnen eine wichtige Rolle. Vorgeschlagene wurden einer eugenischen, rassischen und weltanschaulichen Überprüfung unterzogen. Ausgeschlossen wurde, wem beispielsweise "Unsittlichkeit", "Arbeitsscheue", "Vernachlässigung des Haushalts" und "Trunksucht" unterstellt werden konnte. Hinzu kam eine Bewertung ihrer Leistungen als Hausfrau und Mutter, was am Zustand ihres Haushaltes und der Erziehung ihrer Kinder abgelesen wurde. "Deutsch-blütig", "erbgesund" und "würdig" musste eine Ordensträgerin sein.

Es gab genaue Anweisungen, wann und wie das Mutterkreuz zu tragen war - etwa bei Familienfeiern, zu Ostern, ganz besonders an nationalsozialistischen Festtagen wie dem "Führergeburtstag" oder dem Tag der Machtergreifung.

Bis Ende des Zweiten Weltkriegs erhielten es mehr als fünf Millionen Frauen. Passte die Familie nicht in das Propagandabild der deutschen Volksgemeinschaft, gab es kein Ehrenkreuz für die Mutter. Etwa fünf Prozent der Vorgeschlagenen bekamen eine negative Bewertung, hat die Münchner Historikerin Nicole Kramer herausgefunden. Wer übergangen wurde, sah seinen Ruf und seine Stellung in der Volksgemeinschaft gefährdet. Das galt erst recht für vermeintlich rassisch minderwertige Familien. 1945 verschwanden die Mutterkreuze stillschweigend auf Dachböden und in Kellern.


Quelle:
KNA