Bund katholischer Unternehmer zum Urteil zur Arbeitszeiterfassung

"Es trägt nicht zum Aufbau des Vertrauens bei"

Laut Urteil des Europäischen Gerichtshofs sollen Arbeitgeber verpflichtet werden, die volle Arbeitszeit aller Beschäftigten zu erfassen. Der Bund katholischer Unternehmer kritisiert, für manche Unternehmen sei das Urteil weltfremd.

 (DR)

DOMRADIO.DE: Laut Urteil des Europäischen Gerichtshofs müssen Unternehmen in der EU die Arbeitszeit ihrer Angestellten in Zukunft komplett erfassen. Die Reaktionen auf das Urteil fallen ganz unterschiedlich aus. Der Europäische Gerichtshof sagt, nur so könne man sicherstellen, dass sich ein Arbeitgeber an die Vorschriften hält, die die Arbeitnehmer schützen. Ist das richtig?

Prof. Dr. Dr. Ulrich Hemel (Vorsitzender des Bundes katholischer Unternehmer / BKU): Dahinter steckt die Frage, wem man vertrauen kann. Wir haben in den letzten Jahren ein zunehmendes Misstrauen zwischen Gesellschaft und Wirtschaft und auch in vielen Unternehmen beobachtet. Das ist dort gerechtfertigt, wo es Missbrauch gibt. Es ist dort problematisch, wo es eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern gibt. Das ist insbesondere bei den kleinen und mittleren Unternehmen der Fall, für die dieses Urteil weitgehend weltfremd ist.

DOMRADIO.DE: Wir leben im digitalen Zeitalter. In manchen Berufen wird vom Arbeitnehmer verlangt, dass er ständig online ist, per WhatsApp oder E-Mail erreichbar ist. Ist es da nicht richtig, dass der Europäische Gerichtshof dem einen Riegel vorschiebt, damit es nicht zu ausufernden Arbeitszeiten kommt?

Hemel: Es ist wichtig, dass wir einen Europäischen Gerichtshof haben, der die Belange der gesamten Europäischen Union im Blick hat. Selbstverständlich gibt es Missbrauch auf verschiedenen Ebenen. Ich würde dort, wo es Anlass zum Misstrauen gibt, ansetzen. Die genaue Zeiterfassung ist ein Schutz der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, wenn man es richtig versteht, sogar einen Schutz des Arbeitgebers vor ungerechtfertigten Anfeindungen. Aber auf diese Fälle würde ich es auch beschränken.

Ansonsten haben wir eine Bürokratie, die unglaublich ist. Sie müssten für jede E-Mail aufschreiben, wie viele Minuten Sie für diese Mail gebraucht haben. Das scheint mir nicht sehr wirklichkeitsnah zu sein.

DOMRADIO.DE: Da sind wir bei meinem nächsten Punkt. Sicher gibt es Arbeitsplätze, wo die Stechuhr angebracht ist. Aber gerade in kreativen Berufen ist es manchmal schwierig, die Arbeitszeit per Stechuhr zu messen. Wie soll das gehen und wie könnte man sich das vorstellen?

Hemel: Es sind ja nicht nur kreative Berufe, es ist eine Vielzahl von Berufen betroffen. Nehmen Sie mal einfach den Beruf eines Lehrers. Auch Lehrer können ja Angestellte sein und am am Nachmittag mal ein Buch lesen. Jetzt entscheiden Sie mal, ob das Lesen dieses Buches dienstlich veranlasst ist oder nicht. Ob es zum unmittelbaren Vorbereiten des Unterrichts dient oder zur Horizonterweiterung – das wird sehr schwierig einzuschätzen sein. Deswegen ist hier die Frage, wie man das auf die Branchen umsetzen kann.

Ist es nicht doch besser zu sagen, das wird dann gemacht, wenn es einen begründeten Verdacht oder eine begründete Anfrage gibt, ob die Regeln eingehalten werden? In manchen Fällen ist das sicher sinnvoll. Denken Sie an Krankenhäuser, wo es in vielen Fällen sehr schwierige Arbeitszeiten gibt. Denken Sie an Beispiele, wo Menschen dazu gedrängt werden, Überstunden zu machen, die sie nicht vergütet bekommen. Wir müssen schon beide Seiten sehen. Das tun wir auch. Aber insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen wird das Urteil nicht gerecht.

DOMRADIO.DE: Wie sehen Sie das Urteil als Vorsitzender des Bundes Katholischer Unternehmer? Ist es nicht an der Zeit auch auf Werte wie Vertrauen und Verantwortung zu verweisen?

Hemel: Selbstverständlich. Dafür werben wir ja. Wir sehen Unternehmen als Akteure der Zivilgesellschaft, die Verantwortung haben. Wir wissen ganz genau, dass Gewinn alleine für ein Unternehmen nicht ausreicht. Unternehmen haben auch eine Verantwortung für ihre Mitwelt, Umwelt und Nachwelt. Das ist überhaupt keine Frage bei uns. Aber dieses Vertrauen zwischen Unternehmen und der sonstigen Zivilgesellschaft wiederherzustellen, ist genau eines unserer Anliegen. Dieses Urteil trägt nicht zum Aufbau des Vertrauens bei.

DOMRADIO.DE: Nun sind alle EU-Staaten verpflichtet, das Urteil umzusetzen. Wird da die Politik den Arbeitgebern bald deutliche Vorgaben machen müssen?

Hemel: Die Frage ist immer, wie dies geschieht, denn eine Umsetzung muss ja am Ende auch der Maßstab der Praxis genügen. Das scheint mir doch noch ein ziemlich weiter Weg zu sein. Ich kann mir gut vorstellen, dass es zur Umsetzung gehören wird, das anlassbezogen zu machen – und zu sagen in bestimmten Branchen oder bestimmten Situationen ist die Gefahr sehr hoch, dass es Missbrauch gibt. Und dann muss man auf diese Gefahr eingehen und nicht sozusagen das Kind mit dem Bade ausschütten.

DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie sich denn auch als BKU-Vorsitzender?

Hemel: Nach diesem Urteil des Europäischen Gerichtshofs ein größeres Vertrauen zwischen Wirtschaft und Gesellschaft und eine größere Freude daran, gemeinsam Zukunft zu gestalten. Das ist die Aufgabe und da müssen wir alle arbeiten. 

Das Interview führte Dagmar Peters.

Lesen Sie hier einen Kommentar zum Thema von unserem Volontär Martin Bornemeier.


Prof. Ulrich Hemel / © BKU (BKU)
Prof. Ulrich Hemel / © BKU ( BKU )
Quelle:
DR