DOMRADIO.DE: Die Wahlergebnisse der Europawahl in Deutschland zeigen eine Tendenz: Die großen Parteien verlieren, die kleinen Parteien gewinnen. Wie schätzen Sie das ein?
Stefan Vesper (Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken): Das ist der erste Eindruck, aber ich zähle etwas anderes. Ich zähle zusammen, welche Stimmen für Europa und für ein konstruktives Mitwirken am weiteren Aufbau von Europa zusammengekommen sind. Und da bin ich etwa bei vier Fünfteln. Das ist ein sehr großer Wert und sehr großer Erfolg. Wir als Katholiken müssen uns immer proeuropäisch äußern. Europa lohnt jede Anstrengung. Wir haben als Zentralkomitee immer gesagt, wir wollen, dass die Menschen für ein starkes, demokratisches Europa stimmen. Und das haben sie offensichtlich in einer sehr großen Mehrheit getan.
DOMRADIO.DE: Es zeichnet sich eine höhere Wahlbeteiligung als bei den Europawahlen 2014 ab. Haben sich die Aufrufe zur Beteiligung an der Wahl, die auch von Kirche und vom ZdK kamen, gelohnt?
Vesper: Ich glaube, sie haben sich gelohnt und ich glaube, dass die Menschen sich bewusst sind, dass Europa eine riesige Chance und Aufgabe ist. Demokratie lebt davon, dass man sich beteiligt und dass man sich engagiert. Wir haben gerade 70 Jahre Grundgesetz gefeiert und die Demokratie ist ein Geschenk. Sie ist aber auch eine Aufgabe, die, wenn man sie nicht wahrnimmt, schwächer wird. Der Anstieg der Wahlbeteiligung bei dieser Wahl hat mich sehr gefreut. Das ist für mich das zuallererst wichtigste Ergebnis.
DOMRADIO.DE: Also sind Sie beruhigt darüber? Das hätte ja auch anders ausgehen können.
Vesper: Ich habe immer gehofft, dass die Menschen wissen, dass dieses nicht die Zeit ist, wie Ludwig Windhorst ein alter Katholik im 19. Jahrhundert, mal gesagt hat: Es ist nicht die Zeit die Schlafmütze über den Kopf zu ziehen, sondern es ist die Zeit sich zu engagieren und für die Demokratie einzutreten, sich auch für Europa einzusetzen und zur Wahl zu gehen. Das zu sehen hat mich sehr gefreut.
DOMRADIO.DE: Lassen Sie uns mal auf die Rechtspopulisten im neuen Parlament schauen. Die AfD konnte auch wieder einige Wählerstimmen für sich gewinnen. Das ist weniger als bei der letzten Bundestagswahl. Trotzdem bekommen allgemein die Rechtspopulisten viel Zuspruch. Ist das jetzt eine gute oder eine schlechte Nachricht?
Vesper: Ich begrüße sehr, dass die AfD nicht die Zahl der Bundestagswahl erreicht hat. Man muss sich vor Augen führen, dass es eine antieuropäisch, populistische, nationalistische und radikale Partei ist. Denken Sie an den Herrn Höcke, der immer noch nicht ausgeschlossen worden ist. Von daher bin ich eigentlich froh, dass sie das Ergebnis der Bundestagswahl nicht mehr erreicht haben. In Deutschland ist der Rechtspopulismus, so kann man vielleicht sagen, insgesamt eingegrenzt. Aber in Europa ist es viel schlimmer. In anderen Ländern sehen Sie ja die Ergebnisse, dass die Zahlen wachsen. Wir müssen insgesamt auch mit unseren europäischen Freundinnen und Freunden auch von anderen katholischen Laienbewegungen sprechen und überlegen, was wir tun können. Denn Europa muss ein demokratisches und ein offenes, ein Europa der Menschenwürde sein. Und das wird durch diese Kräfte geschwächt.
DOMRADIO.DE: Zu den großen Gewinnern der Wahl zählen offensichtlich auch die Grünen. Wir erleben zurzeit viele Diskussionen um den Klimaschutz. Wir erleben "Fridays for Future". Bekommen denn damit die Themen Bewahrung der Schöpfung, Umweltschutz und Klimapolitik mehr Relevanz für Europa?
Vesper: Für uns Katholiken muss es ja immer eine riesige Relevanz haben schon durch Franziskus und durch die Bewahrung der Schöpfung. Aber auch durch die revolutionäre Enzyklika "Laudato Si‘" von Papst Franziskus, die uns gesagt hat, ihr müsst aufpassen was mit der Schöpfung passiert. Und die Grünen haben es geschafft das als ihr Thema zu etablieren. Ich begrüße sehr, dass die Menschen den Klima- und Umweltschutz deutlich ernster nehmen. Es ist aber eine Aufgabe für alle Parteien und wir müssen alle gemeinsam die natürlichen Lebensgrundlagen bewahren. Allerdings muss das in einer Form passieren, bei der die Menschen auch mitkommen. Ich habe mit Sorge gesehen, dass das Interesse an sozialer Sicherung offenbar um einige Prozent geringer geworden und um fünf Prozent und das Interesse an Friedenssicherung um sieben Prozent gesunken ist. Das gehört aber alles zusammen und die Klima- und Umweltpolitik muss sozial auch begründet und sozial gestaltet werden, sodass sie insgesamt dem Frieden dient, was aus meiner Sicht auch klar ist.
DOMRADIO.DE: Wie beruhigt oder beunruhigt sind Sie über das Wahlergebnis insgesamt?
Vesper: Ich bin aus dem erwähnten Grund, dass die Rechtspopulisten in Deutschland nicht ihren Erfolg der Bundestagswahl wiederholen konnten, zuversichtlich. Ich bin zuversichtlich über die hohe und gestiegene Wahlbeteiligung. Dass Europa immer eine Baustelle ist, die immer weiter zu gestalten ist, die immer neue Aufgaben hat und wo man einen langen Atem haben muss, das ist klar. Aber Europa ist auf jeden Fall auch im Weltmaßstab unsere Zukunft. Wir Deutschen sind in der Mitte dieses Kontinents und haben hier eine besondere Verantwortung und ich glaube, wir haben sie heute in diesen Wahlen auch wahrgenommen.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.