Es ist ein Anblick, der sich so nicht alle Tage bietet: Eine Gruppe Männer und Frauen in weißen Schutzanzügen und mit Atemmasken verfolgt gebannt, wie die 700 Kilogramm schwere Steinplatte sich langsam noch oben bewegt und nach wenigen Augenblicken den Blick freigibt auf das Innere eines Sarkophags.
Das Grab im Mittelschiff von St. Johannis in Mainz - so hoffen die Beteiligten am Dienstagmorgen - könnte den entscheidenden Beleg dafür liefern, dass die evangelische Kirche der Vorgängerbau des benachbarten Mainzer Doms ist.
Ist es Erzbischof Erkanbald?
Deshalb versucht ein internationales Forscherteam, die in dem Sarkophag bestattete Persönlichkeit zu identifizieren. Im Vorfeld hatten die Wissenschaftler die Theorie aufgestellt, dass es sich bei dem Toten um den 1021 verstorbenen Erzbischof Erkanbald handeln könnte. Von ihm ist überliefert, dass er noch im alten Mainzer Dom aus dem Frühmittelalter bestattet wurde.
Mitarbeiter der Mainzer Dombauhütte haben kein Problem damit, den steinernen Deckel anzuheben. "Als er weg war, hat sich niemand richtig getraut etwas zu sagen", schildert der wissenschaftliche Forschungsleiter Guido Faccani später die ersten Momente.
Archäologen, Anthropologen und Textilexperten blicken auf stark zersetzte menschliche Überreste und Stofffragmente. Dann beginnen sie mit ihren Untersuchungen.
Auch Pressevertreter und geladene Ehrengäste, die das Vorgehen der Forscher aus einiger Entfernung verfolgen, versuchen sich an ersten Interpretationen. Schnell macht die Meinung die Runde, dass es sich bei einem goldfarbenen Streifen im Kopfbereich des Toten um die Verzierung einer Mitra handeln könnte. Reste einer Bischofs-Kopfbedeckung wären ein perfekter Beleg für die Erkanbald-Theorie. Dann kommt zwischenzeitlich sogar die später dementierte Nachricht auf, unter dem Sarkophag befände sich noch ein zweites Bischofsgrab.
Nüchterne Fakten
Doch als der Schweizer Archäologe Faccani und der evangelische Mainzer Dekan Andreas Klodt am frühen Nachmittag zur Pressekonferenz einladen, gibt es statt wilder Spekulationen zunächst nur nüchterne Fakten. "Es ist eine Priesterbestattung mit höchster Wahrscheinlichkeit", erklärt Faccani. Darauf deuteten Überreste von verzierten Gewändern hin. Allerdings könne der Tote weder identifiziert werden, noch lasse sich das Grab genau datieren.
Einen Bischofsring oder gar eine Metallplatte mit dem Namen des Toten fanden die Forscher nicht. Der Leichnam sei offenbar mit Ätzkalk bedeckt worden, um die Verwesung zu beschleunigen. Daher sei beispielsweise der Kopf komplett zersetzt worden. Nicht einmal Zähne habe das Grab noch enthalten: "Auch Hände haben wir bis jetzt noch nicht gesehen." Dennoch konnten Gewebeproben entnommen werden.
Deren Untersuchung könnte zusammen mit einer Analyse der gefundenen Schuh- und Textilfragmente in den kommenden Wochen doch noch zur Identifizierung des Toten beitragen. "Es ist immer noch möglich, dass er es ist", sagt Faccani zur These, es handele sich um das gesuchte Bischofsgrab. Zumindest habe keiner der Funde dieser Theorie widersprochen. "Uns ist ein Erzbischof genauso lieb wie jeder andere Kleriker oder auch Laie", kommentiert der evangelische Mainzer Dekan Andreas Klodt die ersten Befunde.
Der Direktor des Mainzer Dom- und Diözesanmuseums, Georg Wilhelmy, hatte hingegen bereits am Morgen erklärt, das Innere des Sarkophags erinnere stark an das Anfang des 20. Jahrhunderts geöffnete Grab von Erkanbalds Nachfolger Aribo. Der war nach seinem Tod 1031 bereits im - noch nicht fertig gebauten - heutigen Mainzer Dom bestattet worden.
Eine ähnliche Goldborte wie im Sarkophag von St. Johannis sei auch im Aribo-Grab entdeckt worden und liege heute in seinem Museum. Egal, was die Forscher in St. Johannis noch in dem geheimnisvollen Sarkophag entdecken werden - alle Funde sollen dort verbleiben und das Grab nach Abschluss der Forschungen wieder verschlossen werden.
Und egal, ob sie Erkanbalds letzte Ruhestätte in der Kirche sicher verorten können. Die Wahrscheinlichkeit, dass St. Johannis der alte Mainzer Dom ist, bleibt weiterhin äußerst hoch. Darauf deuten zu viele Erkenntnisse aus den 2013 begonnenen umfangreichen archäologischen Grabungen.