DOMRADIO.DE: Was sagen Sie zu diesem Urteil?
Dr. Rainer Hagencord (Leiter des Instituts für Theologische Zoologie in Münster): Es gibt bei mir die Hoffnung, dass etwas deutlich wird: Es geht so nicht weiter. Was bei mir aber überwiegt, ist die Empörung. Denn das System wurde letztlich nicht infrage gestellt. Es ist ja nicht so, als sei das Kükenschreddern als Phänomen vom Himmel gefallen. Sondern das beschäftigt die Republik und die Politik seit über zehn Jahren.
Das ist nur ein Phänomen in der industriellen Tierhaltung, in dem Tiere total verzweckt werden. Anstelle ethisch verantworteter Haltungsbedingungen, die den Bedürfnissen der Tiere entsprechen, wird verlangt, dass sich die Tiere bitteschön an die Haltungsbedingungen anpassen. Und an diesem System rüttelt offenbar niemand. Das macht die Empörung und das Entsetzen bei mir weiterhin sehr groß.
DOMRADIO.DE: Künftig soll es so sein, dass schon beim Ei das Geschlecht des Kükens bestimmt werden kann, und dann werden die Eier wenige Tage nach der Befruchtung vernichtet oder zu Tierfutter verarbeitet. Ist das für Sie eine akzeptable Lösung?
Hagencord: Wenn man das System als solches beibehalten will, dann ist es ein erster Schritt. Nur dieses System an sich steht in Frage. Vor Jahren wurde das Buch "Das globale Huhn" veröffentlicht – das ist sehr lesenswert und wird immer aktueller. Es wird deutlich, wie das Phänomen der Hühnerhaltung für Elend sorgt.
Es ist so, dass die Masthühner bei uns gehalten werden, damit wir das Brustfleisch und die Schenkel essen können. Der Rest wird dann auf die afrikanischen Märkte exportiert, wo dieses hochsubventionierte Fleisch die regionalen Märkte ruiniert, was zur Folge hat, dass die Flüchtlingsfrage größer wird. Das heißt: Was da bei uns so billig daherkommt, hat hohe Kosten und führt auch in Ländern der Dritten Welt in ein soziales Elend.
Hinzu kommt, dass das Soja-Futter aus Lateinamerika kommt und dort dafür sorgt, dass die Regenwälder abgeholzt werden. Soja ist ein hochwertiges Protein, von dem Menschen satt werden könnten. Insgesamt werden 83 Prozent der weltweiten Ernten von Soja, Mais und Hirse in die Tiermast gesteckt.
Außerdem werden in der Mast von Hühnern, Kälbern und Puten inzwischen sogar Reserve-Antibiotika eingesetzt, die laut Welternährungsorganisation dem Menschen vorbehalten sein sollten. Ein klassisches Huhn, das sechs Wochen leben darf, bekommt dreimal Antibiotika. Wir haben ein System, das unverantwortlich ist und daran rüttelt auch ein solches Urteil gar nicht. Wir brauchen eine Politik, die eine andere Agrarpolitik fördert.
DOMRADIO.DE: Hähne legen keine Eier. Sie zu mästen, lohnt sich nicht. Es gibt aus wirtschaftlicher Perspektive schlicht keine Verwendung für diese männlichen Küken. Wie sehen Sie das: Gäbe es da noch eine alternative Vorgehensweise?
Hagencord: Es gibt die Initiative "Bruderhahn", die Betriebe stärkt, die auch männliche Küken heranwachsen lassen. Die männlichen Küken werden aufgezogen. Das braucht etwas länger und sie haben nicht so viel Fleisch, aber sie können dann auch zur Schlachtung genutzt werden. Die Hühner produzieren dann die Eier. Das nennt man das Phänomen der Bruderhahn-Produktion. Das wäre ein guter Schritt.
DOMRADIO.DE: Warum, glauben Sie, unterstützt die Politik solche Initiativen nicht viel stärker?
Hagencord: Der Verdacht liegt nahe, dass seit dem das Landwirtschaftsministerium in Händen der CDU und CSU ist, der Systemwandel überhaupt nicht gewollt ist. Kritiker nennen das Lobbykratur. Wenn man schaut, wer im Agrarausschuss des Bundestages sitzt, kann man schon sagen, hier sind die Großen, und die Fleischindustrie schreibt den Ministern und Ministerinnen die Gesetze vor.
Es gilt, jetzt eine Politik zu machen, in der kleine Betriebe, Familienbetriebe mit einer ökologischen und nachhaltigen Initiative gestärkt werden. Es steht bald an, dass der EU-Haushalt im Blick auf die Agrarsubventionen neu verhandelt wird. Da stehen 365 Milliarden Euro im Raum, die hoffentlich neu verteilt werden, damit ökologische Kriterien in den Vordergrund rücken. Nicht mehr nach dem Motto: Je größer der Betrieb umso mehr Gelder fließen. Da hoffe ich, dass sich Frau Klöckner in Brüssel für eine ökologische Landwirtschaft stark macht.
DOMRADIO.DE: Was kann denn jeder einzelne Verbraucher machen, um Druck auf die Politik auszuüben?
Hagencord: Das Einkaufsverhalten ist das eine. Das andere ist das Verhalten von Gruppen. Ich bin immer in der kirchlichen Welt unterwegs. Da können sich Gemeinden stark machen, Bündnisse mit Biobauern und -bäuerinnen eingehen, ihnen die guten Eier und das gute Fleisch abkaufen, um regionale Projekte zu unterstützen. Dann können auch Landwirte neue Bündnisse eingehen, um sich für ökologische und nachhaltige Tierhaltung stark zu machen.
Das Interview führte Hilde Regeniter.