Wie kann die Kirche junge Leute ansprechen?

"Unter den Menschen sein und hinhören"

Das Rezo-Video hat eine Debatte darüber entfacht, was junge Leute anspricht. Auch die Kirche fragt sich: Wie erreichen wir die Jugend? Für den ehemaligen Abtprimas Notker Wolf ist klar: Hinhören und schauen, was sie bewegt.

Jugendliche bei Messe zur Eröffnung der Jugendsynode im Vatikan / © Paul Haring (KNA)
Jugendliche bei Messe zur Eröffnung der Jugendsynode im Vatikan / © Paul Haring ( KNA )

DOMRADIO.DE: Eines der größten Kommunikationsprobleme stellen wir gerade rund um das umstrittene Video des YouTubers Rezo fest. Was denken Sie dazu?

Notker Wolf (Früherer Abtprimas der Benediktiner aus der oberbayerischen Erzabtei Sankt Ottilien): Ich habe gedacht, da muss sich die CDU etwas einfallen lassen. Sie müsste wirklich kontern. Sie bräuchte auch junge Leute, vielleicht auch YouTube, um die Dinge zu zerpflücken und auseinanderzunehmen – und zwar sachlich.

Es hilft gar nichts hier die beleidigte Partei zu spielen: Das Video ist nunmal von 14 Millionen angeschaut worden, da müssen wir uns damit auseinandersetzen. Wir erfahren so, was junge Menschen denken. Das ist ja eigentlich unsere Zukunft.

Der heilige Benedikt hat auch gesagt: Wann immer etwas Wichtiges ansteht, rufe der Abt sämtliche Mönche zusammen und zwar sämtliche, weil Gott oft den Jüngeren eingibt, was besser ist. Also wenn ich daran denke, dann kann ich nur schmunzeln.

DOMRADIO.DE: Warum kriegt das die Gesellschaft – insbesondere die Politik in dem Fall – nicht hin, mit den Menschen zu kommunizieren?

Wolf: Ich weiß nicht, woran das liegt. Vielleicht ist genau das eingetreten, was Papst Franziskus an der Kirche kritisiert: Dass sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist, anstatt nach draußen zu gehen und den Menschen eine Botschaft zu verkünden.

Ich glaube, auch die CDU hätte sehr wohl eine Botschaft. Sie könnte auch sagen, da und dort haben wir vieles nicht erreicht oder unsere Versprechen nicht erfüllt. Das macht ja gar nichts. Im Gegenteil: Das macht glaubwürdig. Aber die CDU müsste zeigen, worin nun ihre Zukunft besteht. Was die Visionen sind und was sie als Nächstes anpacken möchte.

DOMRADIO.DE: Sie haben die Kirche angesprochen. Die hat auch ihre Kommunikationsprobleme. Das fängt an mit dem Tonfall bei Predigten, bei der Sprache der Theologen an, die der normale Mensch nicht versteht. Was müssen wir tun, um wieder an die Menschen heranzukommen?

Wolf: Unter den Menschen sein und hinhören – auf das, was sie bedrückt und wo Ihre Probleme sind. Wir haben eigentlich eine Botschaft des Heils. Wir müssen schauen, wo die Krankheiten sind und wo wir heilen müssen. Jesus hat den Taubstummen geheilt, den Sesshaften und den Aussätzigen. Das sind natürlich auch übertragene Dinge. Wir müssen hinhören und schauen, was die Menschen bewegt.

Wir dürfen nicht auf das schauen, was uns bewegt, um dann zu diktieren, was zu machen ist. Es ist heute natürlich nicht mehr so einfach. Jeder meint, selbst die große Wahrheit gefunden zu haben und sie verkünden zu müssen. Das ist das Problem des Individualismus. Jeder kann heute im Internet Behauptungen aufstellen.

Ich denke, vieles müsste schlichtweg in Frage gestellt werden. Wenn Rezo dieses und jenes behauptet, dann müsste man gucken, was wirklich stimmt und was nicht stimmt. Genauso die ganze moralische Correctness oder die Genderfrage: Warum darf ich die nicht in Frage stellen? Wenn ich daran kratze, bekomme ich einen Shitstorm – das darf man sich nicht bieten lassen.

DOMRADIO.DE: Das merkt man ja auch innerkirchlich – etwa mit Maria 2.0 oder der Kritik an den hierarchischen Strukturen der Kirche. Bräuchte es da mehr Diskussionen?

Wolf: Ja, da soll ja auch etwas passieren. Wenn ich sehe, was der Papst vorhat – soll ja demnächst veröffentlicht werden. Da geht es um Kollegialität der Bischöfe und darum, dass nicht mehr von oben herab diktiert wird. Natürlich sollen die Bischöfe genauso kollegial mit ihren Priestern und Gläubigen sein. Das ist ganz klar.

Das nächste ist die Synodalität. Die Bischöfe in Deutschland versuchen das jetzt, auch wenn da zum Teil widersprochen wurde. Ein weiterer Punkt ist die Subsidiarität. Man muss nicht alles von oben herab lösen. Wir sollten die Dinge belassen auf der Ebene, wo die Probleme sind. Das gilt auch in der Politik. Das Problem der EU ist, dass sie zu zentralistisch ausgerichtet ist.

DOMRADIO.DE: 2060 haben wir nach einer aktuellen Studie nur noch halb so viele Katholiken. Wie geht man damit um?

Wolf: Für mich hat Statistik noch nie etwas bedeutet. Es kommt nicht auf Zahlen an, sondern auf den Inhalt. Ich werde immer wieder gefragt: Wie viele Kilometer bist du geflogen, in wie vielen Ländern warst du, in wie vielen Klöstern? Das ist für mich nicht wichtig, für mich ist der Mensch wichtig. Bei den Menschen zu sein, war für mich immer das Entscheidende. Und eine Kirche, die wirklich an Seelsorge denkt.

Ich bin überzeugt: Die Kirche hat eine Zukunft. Vor allen Dingen auch deshalb, weil uns der Geist Gottes treibt. Und er treibt uns nicht immer so, wie wir es gerade wünschen. Jesus hat zu Petrus gesagt: Ein anderer wird dich gürten und führen, wohin du nicht willst. Wir sollten das Evangelium einfach mal ernst nehmen.

Das Gespräch führte Renardo Schlegelmilch.

Am 27. Juni um 19 Uhr spricht Notker Wolf bei der Veranstaltung "Herausforderung Zukunft: Wo stehen wir?" in der alten Lohnhalle in Bochum-Wattenscheid.


Der scheidende Abtprimas Notker Wolf  / © Karlheinz Schindler (dpa)
Der scheidende Abtprimas Notker Wolf / © Karlheinz Schindler ( dpa )
Quelle:
DR
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