Unterlassene Hilfeleistung bei Suizid nicht automatisch strafbar

"Hilfspflichten wurden nicht verletzt"

Der Bundesgerichtshof hat zwei Ärzte aus Hamburg und Berlin freigesprochen, die kranke Menschen beim Suizid begleitet und Rettungsmaßnahmen unterlassen hatten. Ärzteorganisationen und Patientenschützer kritisierten das Urteil.

Schild mit dem Bundesadler am Bundesgerichtshof in Karlsruhe / © Harald Oppitz (KNA)
Schild mit dem Bundesadler am Bundesgerichtshof in Karlsruhe / © Harald Oppitz ( KNA )

Das Gericht stärkte am Mittwoch in Leipzig zugleich das Selbstbestimmungsrecht von Menschen, die Suizid begehen. Der Vorsitzende Richter des fünften BGH-Strafsenats betonte, Ärzte müssten bei einem freiverantwortlichen Suizid nicht gegen den Willen des Sterbenden zu Rettungsmaßnahmen greifen.

In beiden Fällen seien weder das ärztliche Standesrecht noch die in Unglücksfällen jedermann obliegende Hilfspflicht in strafbarer Weise verletzt worden. "Da die Suizide, wie die Angeklagten wussten, sich jeweils als Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der sterbewilligen Frauen darstellten, waren Rettungsmaßnahmen entgegen ihrem Willen nicht geboten."

Deutliche Kritik kam von der Bundesärztekammer und der Ärztegewerkschaft Marburger Bund. "Betont werden muss auch heute, dass die Beteiligung an Selbsttötungen nicht zu den ärztlichen Aufgaben zählt", erklärte Ärzte-Präsident Klaus Reinhardt. Es wäre fatal, wenn in der Bevölkerung die Erwartung geweckt würde, es gäbe einen Anspruch auf ärztliche Assistenz beim Suizid. "Daher ist und bleibt es richtig, wenn Handlungen zur geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung strafbar sind."

Stiftung Patientenschutz: Freispruch ist unverständlich

Der Vorsitzende des Marburger Bundes, Rudolf Henke, erklärte, das Urteil löse keine Probleme, sondern schaffe neue. Die ärztliche Berufsordnung stelle eindeutig klar, dass Ärzte keine Hilfe zur Selbsttötung leisten dürften. Ärzte müssen Sterbenden Beistand und Fürsorge leisten. "Sterbebegleitung kann und darf aber keine Hilfe zur Selbsttötung sein." Henke äußerte die Befürchtung, "dass eine schleichende Legalisierung des ärztlich begleiteten Suizids, wie sie im Urteil des BGH zum Ausdruck kommt, sehr problematische Signale in die Gesellschaft sendet. Wer alt und krank ist, darf nicht auf den Gedanken kommen, er würde anderen zur Last fallen, um dann den vermeintlichen Ausweg Suizid zu wählen."

Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz zeigte sich enttäuscht. "Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs macht überdeutlich, wie wichtig das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung ist", sagte Vorstand Eugen Brysch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) mit Blick auf das anhängige Verfahren beim Bundesverfassungsgericht. Überdies sei der Freispruch für den Berliner Hausarzt "unverständlich", der seiner Patientin ein Suizidmittel überlassen hatte. "Tagelanges Ringen mit dem Tod, Hausbesuche zur Todesfeststellung und aktive medizinische Hilfestellung sind keine Sterbebegleitung oder palliative Therapie", so Brysch.

Urteil "stärkt Patienten und Ärzte"

Der Verein "Sterbehilfe Deutschland" wertete das Urteil dagegen als "epochale Abkehr" von früheren Entscheidungen des BGH. 1984 hatte das Gericht entschieden, dass der Sterbehelfer zur Lebensrettung verpflichtet ist, sobald der Suizident bewusstlos geworden ist. "Mit dieser unwürdigen Situation ist nun Schluss. Sterbehelfer dürfen künftig beim Sterbenden bleiben, weil dessen Sterbewunsch auch nach Eintritt der Bewusstlosigkeit beachtlich bleibt."

Auch die Vorsitzende des Europäischen Ethikrates, die Kölner Medizin-Ethikerin Christiane Woopen, lobt das jüngste Urteil des Bundesgerichtshofes zur Sterbehilfe. "Ich halte das für ein sehr wichtiges Urteil, weil es Patienten und Ärzte stärkt", sagte sie dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (Donnerstag). "Es macht deutlich, dass Ärzte ihre Patienten bei einer selbstbestimmten Selbsttötung nicht alleine lassen müssen, sondern sie begleiten dürfen."

Eine Selbsttötung solle niemals eine gleichsam normale Option sein, betonte Woopen. Es gehe immer um individuelle, existenzielle Ausnahmesituationen. Und die Gesellschaft sollte alles dafür tun, um Menschen, die über einen Suizid nachdenken, Perspektiven für das Weiterleben zu eröffnen. "Wenn aber ein Mensch nach Beratungen und gründlichem Überlegen sowie nach längerer Bedenkzeit in Ausübung seiner Selbstbestimmung sich selbst töten möchte, um schweres Leiden zu beenden, das anders nicht beendet werden kann, dann sollte er dies unter würdigen Umständen und in Begleitung tun können", so die Medizin-Ethikerin.

Kirche wirbt für ganzheitliche Begleitung von Menschen

Assistierter Suizid - wie in den beiden verhandelten Fällen - steht gegen die Lehrer der katholischen Kirche. Die Bischöfe fordern Christen dazu auf, sich stattdessen für eine Stärkung der Hospizarbeit und der palliativen Versorgung einzusetzen. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Münchner Kardinal Reinhard Marx, hatte in der Vergangenheit die Ablehnung der aktiven Sterbehilfe bekräftigt. "Wir müssen uns wehren gegen aktive Sterbehilfe und Beihilfe zum assistierten Suizid", so der Erzbischof von München und Freising. Nötig seien hingegen eine Stärkung der Hospizarbeit und palliativen Versorgung.

Auch der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode, Vorsitzender der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferen, sieht in der palliativen Fürsorge die beste Antwort auf die Suizidwünsche kranker und hilfsbedürftiger Menschen und wirbt für die ganzheitliche Begleitung von Menschen in schwerstem Leiden und im Sterben. Umso wichtiger ist für Bode, "dass die Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland flächendeckend ausgebaut wird". Dazu gehöre etwa eine angemessene Personalausstattung in stationären Einrichtungen und Kliniken. Wesentlich ist für den Bischof dabei die seelsorgliche Begleitung.

Der Passauer Bischof Stefan Oster argumentiert in einem Beitrag auf seiner Homepage klar gegen jede Form von Sterbehilfe. Die aktive Mitwirkung an der Selbsttötung eines Menschen sei "ein dramatischer Verstoß gegen die Überzeugung, dass Gott der Herr über Leben und Tod, mithin über Anfang und Ende des Lebens ist", schreibt Oster auf seiner Homepage.


Johann Friedrich Spittler (l) und Chrsitoph Turowski, Ärzte aus Hamburg und Berlin / © Hendrik Schmidt (dpa)
Johann Friedrich Spittler (l) und Chrsitoph Turowski, Ärzte aus Hamburg und Berlin / © Hendrik Schmidt ( dpa )
Quelle:
KNA , DR
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