Das Bild ist ziemlich ungewohnt: Als Andrea Nahles am Montagabend zu ihrem ersten öffentlichen Auftritt nach ihrem Rücktritt als SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzende schreitet, sind nicht nur Sicherheitsbeamte an ihrer Seite. Neben ihr läuft in schwarzer Kutte auch Benediktinermönch Pater Albert Sieger vom Kloster Maria Laach. Dort, im "Klosterforum", wird Nahles von rund einem Dutzend Journalisten und Fotografen sowie 200 Zuhörern zu einem Vortrag erwartet.
"Die Gleichberechtigung von Mann und Frau laut Grundgesetz und im wahren Leben" - so lautet Nahles' Thema. Und dazu hat die 49-jährige ehemalige Frontfrau der SPD einiges zu sagen. "Das 'Projekt Männer und Frauen sind gleichberechtigt' ist keinesfalls abgeschlossen", betont Nahles. Das gelte insbesondere für die deutschen Firmen. Denn in den Vorständen der 160 größten Unternehmen gebe es laut einer Studie mehr Männer allein mit den Vornamen "Thomas" und "Michael" als Frauen insgesamt. Das sei "besonders krass", so Nahles, die sich gewohnt kämpferisch, aber irgendwie auch gelöst zeigt.
Gleichberechtigung im Bundestag
Ein starkes Ungleichgewicht sei auch für den Bundestag festzustellen, wo es in der vergangenen Legislaturperiode 36 Prozent Frauenanteil bei den Abgeordneten gegeben habe. Im aktuellen Bundestag seien es nur noch 30 Prozent. Dieser Rückgang habe "ausschließlich" damit zu tun, dass die AfD und die FDP neu in den Bundestag gekommen seien - mit einem "extrem niedrigen Frauenanteil unter 18 Prozent". Die CDU/CSU sei nun unter 20 Prozent Frauenanteil bei den Abgeordneten gefallen.
"Es geht wieder rückwärts", beklagt Nahles. Es gebe "einen Rollback", der ihr Sorgen mache. Den sinkenden Frauenanteil bei den Abgeordneten der anderen Parteien "kompensierten" nur Grüne, Linke und SPD, weil es hier eine Quote bei der Aufstellung gebe.
Nahles trat Anfang Juni als Partei- und Fraktionsvorsitzende der SPD zurück. Zuvor war sie wegen des historisch schlechten Ergebnisses der SPD bei der Europawahl stark unter Druck geraten. Die Katholikin stand als erste Frau an der SPD-Spitze.
Gleichberechtigung erschwert durch Machtzirkel der Männer
Als sie nach ihrem Vortrag in der Publikumsrunde gefragt wird, ob sie in den 18 Jahren als Bundestagsabgeordnete Männer und Frauen in der Politik de facto als gleichberechtigt erlebt habe, sagt Nahles: "Zu keinem Zeitpunkt! Ich habe das Gefühl gehabt, es ist über die Jahre immer besser und in den letzten Jahren wieder schlechter geworden." Die Frauen hätten zwar viel erreicht. Aber Netzwerke würden von den Männern intensiver betrieben, gerade in Spitzengremien wie dem SPD-Präsidium, wo "die Jungs" ihre eigenen Machtzirkel gehabt hätten.
Zu ihrem Rücktritt als SPD-Chefin äußert sie sich am Montagabend nicht. Laut "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" erwägt sie nun Anfang September auch ihr Bundestagsmandat niederzulegen. Als sie fast am Ende ihres Auftritts im Rahmen der Vortragsreihe "Laacher Forum" darauf angesprochen wird, sagt Nahles scherzhaft: "Ich bin froh, dass die Frage jetzt erst kommt." Dann fügt sie hinzu, eine Antwort darauf werde "in absehbarer Zeit" erfolgen. Und schließlich: "Man muss auch manchmal wissen, wann man was Neues anfangen muss."
Für das Diakonat der Frau
Was Nahles aber offenbar nicht aufgeben will, ist ihr Einsatz für eine Gleichberechtigung von Frauen in der katholischen Kirche: "Ich kämpfe seit vielen Jahren für den Diakonat der Frauen", sagt sie. Und sie glaube auch, "dass das erreichbar ist zu meinen Lebzeiten", so Nahles, die Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) ist.
Das Kloster Maria Laach im nördlichen Rheinland-Pfalz hat Nahles nicht ohne Grund für den ersten öffentlichen Auftritt nach ihrem Rücktritt gewählt. Den Termin hatte sie zwar noch als SPD-Chefin vereinbart, aber trotz ihres Rückzugs im Juni nicht abgesagt. Maria Laach liegt unweit von Nahles' Wohnort in der Eifel. Lange Zeit hatte sie sich regelmäßig eine Woche im Jahr ins Kloster zurückgezogen. Ihr christlicher Glaube - so schrieb sie einmal in einem Buchbeitrag - helfe ihr, die Orientierung nicht zu verlieren. "Ich finde im Glauben die Energie, um selbst aktiv zu werden und die Schwierigkeiten, die vor mir liegen, anzugehen."