Augustinus und die Sache mit der Gnade

"In der Sünde des 'alten Adam' gefangen"

Kaum ein Thema gibt es in der Kirche, in dem wir den heiligen Augustinus heute nicht wiederfinden. Vor allem seine Gnadenlehre hat Spuren hinterlassen. An diesem Mittwoch gedenkt die Kirche des heiligen Augustinus.

Autor/in:
Hannah Krewer
Abbildung des Heiligen Augustinus in einem Fenster der Kirche Unserer Lieben Frau von Sablon in Brüssel / © Jorisvo (shutterstock)
Abbildung des Heiligen Augustinus in einem Fenster der Kirche Unserer Lieben Frau von Sablon in Brüssel / © Jorisvo ( shutterstock )

"Allmächtiger, ewiger Gott, durch das Leiden deines Sohnes hast du den Tod vernichtet, der vom ersten Menschen auf alle Geschlechter übergegangen ist. Nach dem Gesetz der Natur tragen wir das Abbild des ersten Adam in uns; hilf uns durch deine Gnade, das Bild des neuen Adam in uns auszuprägen und Christus ähnlich zu werden (…)." Wer an einem Karfreitag die Feier des Leidens und Sterbens Jesu mitfeiert, hört diesen Text oft. Was hat ein Karfreitag nun mit dem heiligen Augustinus zu tun?

Wieso hat Gott Jakob geliebt und Esau gehasst?

Augustinus, der um die Wende vom vierten zum fünften Jahrhundert lebte, war ein typisch gebildeter Mensch der Spätantike, der auch nach seiner Konversion zum Christentum die zeitgenössische Philosophie nicht verwerfen wollte. In der frühen Phase seines Wirkens vertrat er im Vergleich zu später viel liberalere Ansichten. Doch das änderte sich bald. Spätestens in seiner Auseinandersetzung mit verschiedenen Strömungen – etwa dem Donatismus, dem Manichäismus oder dem Pelagianismus - und mit seiner Auslegung des Römerbriefes wird der Mensch für Augustinus zum Wesen, das nicht ohne Sünde sein kann und auf Gottes rettende Gnade angewiesen ist.

Wieso hat Gott Jakob geliebt und Esau gehasst – und zwar von Geburt an? Keiner von ihnen konnte vor seiner Geburt sündigen oder besonders gute Werke tun. Für Augustinus ist klar: die Gnade Gottes kann nicht aus guten Werken resultieren, sondern aus dem Plan Gottes folgt die Erwählung der Menschen. Die Gnade Gottes ist ein Geschenk an den Menschen, und niemand kann sich seiner guten Werke rühmen. Wenn ein Mensch etwas aus gutem Willen tut, dann weil dieser Wille von Gott selbst im Menschen bewirkt ist – schließlich kann es nicht sein, dass Gott nicht an mir handeln kann, nur weil ich es nicht will, er ist ja schließlich allmächtig.

Und warum wird Esau dann gehasst? Augustinus ist der Überzeugung, dass alle Menschen die Strafe Gottes verdient haben – denn in Adam hätten alle Menschen mit-gesündigt und trügen daher von Anfang an auch persönliche Schuld. Diese Überlegungen werden später als "Erbsünden"-Lehre in die Geschichte der Kirche eingehen. Wenn also nun dem einen - Jakob – die Strafe erlassen wird und Esau nicht, dann ist dies nicht ungerecht – Esau hat seine Strafe ja aufgrund seiner Erbsünde verdient und Gott ist nicht ungerecht, wenn er ihm etwas verwehrt, das ihm eh nicht zusteht. Der Mensch kann also von sich aus keine guten Werke tun, er ist immer mit der ursprünglichen Schuld behaftet.

Auch die Frage, wie denn diese ursprüngliche Sünde auf den Menschen übertragen werde, kann Augustinus beantworten:  es ist die fleischliche Begierde, die den Menschen – analog zum Römerbrief – zu einem "Klumpen" gemacht hat und die die Sünde immer auf die Nachkommenschaft überträgt. Daher musste für ihn der Erlöser von einer Jungfrau geboren werden – die einzige Möglichkeit, dass er ohne Erbsünde sein kann. Als "neuer Adam" ist er das Gegenbild zum "alten Adam"  - auch dies hat Augustinus im Römerbrief gefunden, durch den die Sünde in die Welt kam. Auch die Kindertaufe kann Augustinus so erklären: kein Säugling kann schon nennenswert schlechte Taten begangen haben – aber auch er muss von seiner Erbsünde befreit werden.

Geburtsstunde der sogenannten "Prädestinationslehre"

Dennoch bleibt es für ihn dabei, dass der Mensch von sich aus keine guten Taten vollbringen kann – er kann nicht nicht sündigen, es sei denn, Gott gewährt ihm seine Gnade. Das Heil gibt es aber nur für wenige, die von Gott nach dessen Vorherbestimmung erwählt werden. Es ist die Geburtsstunde der sogenannten "Prädestinationslehre" – und in der Kirche die Geburtsstunde einer großen Heilsungewissheit. Die "massa peccati", also die große Masse der Verdammten, wird von Gott nur ertragen, damit er seinen Zorn zeigen kann; sie dient zum Heil der wenigen Auserwählten. Hier äußert sich das zutiefst pessimistische Menschenbild des Augustinus.

Augustinus lebt in der Spätantike. Mit dem Einfall der Goten im Jahr 410 beginnt der Zusammenbruch des Römischen Reiches. Augustinus will Ordnung schaffen, er merkt aber, dass wir in vielerlei Hinsicht nicht Herr über uns selbst sind – gerade auch in sexueller Hinsicht. Also projiziert er die Ordnung gewissermaßen in den Himmel.

In der römischen Kirche wurde der radikale Augustinus in dieser Art und Weise nicht rezipiert, eher ein "Misch-Augustinus", denn frühere Äußerungen machen spätere erträglicher. Die Tatsache der doppelten Prädestination – also die Vorherbestimmung zum Guten oder zum Schlechten – wurde so etwa nicht übernommen. Dennoch haben einige Theologumena (Glaubenssätze der Theologie) Einzug in die westliche Theologie gehalten – im Osten ist Augustinus kaum bekannt und wurde im 13. Jahrhundert sogar vehement abgelehnt. Die Frage nach dem Verhältnis von der Gnade Gottes zum freien Willen des Menschen blieb jedoch ein Dauerbrenner. Sie wurde auf verschiedenen nachfolgenden Synoden kontrovers diskutiert; es ging stets um die Gratwanderung, einerseits dem Menschen einen freien Willen zuzugestehen, andererseits aber die Allmacht und die Gnade Gottes nicht zu relativieren. An den ganz harten Konsequenzen des Augustinus – etwa der Tatsache, dass Gott Menschen zum Bösen bestimmt – wollte man vorbei; man bedenke etwa, was für ein Gottesbild entsteht, wenn Augustinus radikal zu Ende gedacht wird.

Die Klöster trugen die Lehren des hl. Augustinus weiter in die westliche Kirche hinein, wo viele seiner Lehren hängen blieben und ihre Spuren hinterließen – auch wenn Mönche ihn später an den Rand der Verurteilung brachten. Wäre Augustinus zum Häretiker erklärt worden, hätte etwa Luther sich nicht auf ihn beziehen können. Doch durch die kirchliche Rezeption des Augustinus konnte man auch das lesen, was nicht kirchlich rezipiert wurde. Bei Texten wie dem besagten Römerbrief kann erst die moderne Exegese neue Akzente setzen, während sie lange Zeit vor allem durch die Augen des Augustinus gelesen wurden.

Große Spuren des Augustinus in der Karfreitagsliturgie

Nicht nur in der angesprochenen Karfreitagsliturgie finden sich noch immer große Spuren des Augustinus. "Herr, allmächtiger Gott, du hast deinen eingeborenen Sohn gesandt und durch ihn den Menschen, die in der Sünde gefangen waren, die Freiheit der Kinder Gottes geschenkt", so wird in der Taufliturgie gebetet. Auch hier findet sich also die Idee, dass alle Menschen in der Sünde des "alten Adam" gefangen waren – erst Christus ermöglicht Freiheit.  Ähnliches gilt für viele andere liturgische Texte, etwa Tagesgebete oder Präfationen ("Denn was durch Adams Sünde verloren ging, bringt uns Christus zurück", IV. Präfation für die Adventszeit).

Und auch in der Erlösungslehre sind augustinische Spuren zu finden: "…Die auf die Ursünde folgenden Sünden der Menschen werden mit dem Tod geahndet […]. Indem Gott seinen eigenen Sohn in der Gestalt eines Sklaven [...], einer gefallenen und infolge der Sünde dem Tod preisgegebenen Menschennatur [… sandte, hat er "den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden" (…)", liest man etwa in Artikel 602 des Katechismus der Katholischen Kirche von 1997. Auch hier scheinen Ideen des Augustinus hindurch – die Menschennatur an sich wird als "gefallen" bezeichnet – infolge der Sünde.

Die Lehren des heutigen Tagesheiligen sind also sowohl in der Geschichte der Kirche kontrovers diskutiert worden, als auch in viele Bereiche der Kirche eingegangen. Nicht umsonst gilt Augustinus mit seinem immensen literarischen Werk als einer der bedeutendsten Kirchenlehrer. Augustinus schafft es, die gesamte Heilsgeschichte in seinen Überlegungen logisch miteinander zu verknüpfen.

Natürlich geht es nicht darum, direkte lineare Ableitungen von Lehren des Augustinus zur heutigen Kirche zu schaffen. Zudem ist es schwer, seine Lehren zu systematisieren, da sie stets aus verschiedenen persönlich-biographischen und kirchenpolitischen Verhältnissen entstanden sind. Aber dass sein Einfluss da ist, ist wohl unbestreitbar. Wie die Kirche weiterhin mit seinem Erbe umgehen wird, wird sich zeigen.


Quelle:
DR