Kurz nachdem Steven Biegler 2017 sein Amt als Bischof der Diözese Cheyenne angetreten hatte, lernte er schnell, wie schwer fest gefügte Wahrnehmungen zu erschüttern sind. Nicht wenige Katholiken in seinem Bistum, das den gesamten US-Bundesstaat Wyoming umfasst, reagierten irritiert auf seine Ankündigung, die innerkirchlichen Ermittlungen gegen seinen überlebensgroßen Vorvorgänger Joseph Hart wegen Kindesmissbrauchs wiederaufzunehmen.
Vorwürfe eines ehemaligen Messdieners
Die Vorwürfe stammen von einem ehemaligen Messdiener, den der heute pensionierte Bischof Ende der 70er Jahre unter seine Fittiche nahm, nachdem dessen Vater die Familie verlassen hatte. Hart spannte den damals Zwölfjährigen nicht nur zu allen möglichen Diensten in der Kirche ein, sondern soll sich nach dessen Aussagen auch sexuell an ihm vergangen haben. 2001 erstattete das mutmaßliche Opfer auf Anraten seiner Schwester und seines Therapeuten Anzeige.
Die Polizei in Wyoming ermittelte und stellte das Verfahren im Jahr darauf mangels Beweisen ein. "Es ist klar, dass die Behauptungen ohne Substanz sind und der Fall deshalb als unbegründet befunden werden muss", erklärte seinerzeit der Chef-Ankläger des Gerichtsbezirks, Kevin Meenan.
Bieglers 2018 eingeleitete Nachforschungen kamen zu einem anderen Ergebnis. Demnach waren sowohl die Kirche als auch die Polizei damals zu einer glatten Fehleinschätzung gelangt. Tatsächlich gab es hinlängliche Gründe, dem Betroffenen Glauben zu schenken. Zumal Harts Heimatdiözese in Missouri bereits in zehn Fällen außergerichtliche Einigungen mit Personen getroffen hatte, die behaupteten, sie seien von ihm während seiner Zeit als Priester missbraucht worden.
Kommt es zur Anklage?
Im vergangenen Jahr traten vier weitere Betroffene aus Missouri mit Beschuldigungen an die Öffentlichkeit. Die von Bischof Biegler neu angestoßene Untersuchung ermutigte ihrerseits drei mutmaßliche Opfer, erstmals Vorwürfe zu erheben. Mitte August empfahlen die staatlichen Ermittler in Wyoming, die mit der Diözese kooperierten, Anklage gegen Hart zu erheben. Sollte es dazu kommen, wäre er der erste US-Bischof, der sich wegen Missbrauchs vor Gericht verantworten muss.
Parallel dazu hat Papst Franziskus im Juni persönlich grünes Licht für ein kirchliches Strafverfahren gegen den 87-Jährigen gegeben. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass Hart nach dem ehemaligen Kardinal Theodore McCarrick der zweite US-Bischof werden könnte, der nicht nur seinen Titel verliert, sondern aus dem Priesteramt entfernt wird.
Hart bestreitet standfest die schweren Vorwürfe, deren verstörende Details das katholische Online-Portal "Crux" gerade in einer dreiteiligen Serie ausgebreitet hat. Darin beschrieben wird das Doppelleben eines beliebten Bischofs, der bei seiner Ankunft in Cheyenne 1976 den frischen Wind des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) in seiner neuen Diözese verbreitete.
Der neue Bischof eroberte die Herzen der rund 50.000 Katholiken des Western-Staats in den Rocky Mountains, erwarb den Respekt der Politik und erwies sich als fähiger Leiter seiner Diözese. Eine andere, düstere Seite Harts blieb demnach über Jahrzehnte im Verborgenen.
Mutmaßliche Opfer fanden kein Gehör
Seine mutmaßlichen Opfer fanden kein Gehör, verfielen dem Alkoholismus und Depressionen oder - wie in mindestens einem Fall - nahmen sich das Leben.
Biegler schockte viele Katholiken in seiner Diözese, als er versprach, der Wahrheit auf den Grund zu gehen. Er flog nach New York, traf den Messdiener, der 2001 Vorwürfe erhoben hatte, und versprach ihm, den Fall aufzuklären.
"Die Leute begegnen den Opfern mit Misstrauen", erklärte der Bischof gegenüber "Crux", warum es für Betroffene so schwer sei, sich gegen über vier Jahrzehnte etablierte Größen Gehör zu verschaffen. "In vielen Fällen haben Kirchenführer die Opfer als Gegner statt als Brüder und Schwestern gesehen und dabei versagt, sich angemessen um sie zu kümmern." Das hat sich mindestens in Wyoming unter der Führung des neuen Bischofs geändert.
Für Hart wird es schon jetzt ungemütlich. Der Verband der Missbrauchsopfer von Priestern SNAP forderte am Donnerstag (Ortszeit) die Diözese auf, dem pensionierten Bischof alle Privilegien zu nehmen und ihn in ein Kloster ins ländliche Kansas zu schicken. "Nur weil ein Missbrauchstäter älter geworden ist, ist er nicht magisch geheilt", heißt es in einer Stellungnahme von SNAP. "Die katholische Hierarchie muss andere vor ihnen schützen."