Die katholische Kirche in Deutschland sollte angesichts ihrer Reformpläne durch eine Initiative vatikanischer Behörden auf stärkere Einheit mit Rom verpflichtet werden. Das geht aus einer Rekonstruktion der Entstehung des Papstbriefs an die deutschen Katholiken hervor, die die "Herder Korrespondenz" (online Mittwoch) veröffentlichte. Das am 29. Juni publizierte Schreiben von Franziskus zur kirchlichen Reformdebatte in Deutschland hatte unterschiedliche Deutungen hervorgerufen.
Kardinal Kasper meldet sich zu Wort
Der deutsche Kardinal Walter Kasper, der laut "Herder Korrespondenz" vom Papst vor der Abfassung des Briefs als Berater hinzugezogen wurde, sagte der Zeitschrift, Franziskus habe die Evangelisierung in den Mittelpunkt seiner Überlegungen gestellt und damit "die Linie seiner Vorgänger von Paul VI. bis Benedikt XVI. entschlossen weitergeführt".
Kasper sagte, es sei "eine verhängnisvolle Selbsttäuschung, zu meinen, mit strukturellen Reformen allein wieder neue Glaubensfreude wecken zu können". In Deutschland habe man den Brief des Papstes "zwar viel gelobt, ihn dann aber zur Seite gelegt und weitergemacht, wie schon zuvor geplant", so der 86-jährige frühere Präsident des päpstlichen Ökumene-Rats. "Doch ohne Erneuerung aus dem Glauben gehen alle noch so gut gemeinten strukturellen Reformen ins Leere." Kasper, international anerkannter Dogmatiker, wird innerhalb der Kurie dem liberalen Flügel zugerechnet und hat einen direkten Zugang zum Papst.
Geheimes Treffen im Vatikan
Nach Recherchen der "Herder Korrespondenz" entstand die Initiative zu einem Schreiben an die Deutschen in der römischen Kurie. Im Hintergrund standen demnach Sorgen angesichts früherer, mit Rom nicht abgestimmter Entscheidungen deutscher Bischöfe, wiederverheirateten Geschiedenen sowie nicht-katholischen Ehepartnern in Ausnahmefällen die Kommunion zu gewähren. Im Mai seien die Spitzen der Glaubens-, der Klerus- und der Bischofskongregation gemeinsam mit Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin in einem geheimen Treffen übereingekommen, beim Papst ein Schreiben anzuregen, in dem er die Deutsche Bischofskonferenz an die Einheit mit Rom erinnern solle.
Franziskus habe sich das Anliegen zu eigen gemacht und zu einem meditativen Grundsatzschreiben an das ganze "pilgernde Volk Gottes in Deutschland" ausgeweitet. In der Ausarbeitungsphase war laut "Herder Korrespondenz" Kardinal Kasper als Berater beteiligt; der von Franziskus in seiner Muttersprache Spanisch verfasste Text sei in der Glaubenskongregation ins Deutsche übersetzt worden.
Vertreter des konservativen Lagers in der katholischen Kirche in Deutschland sahen in dem Brief eine Aufforderung, den "Synodalen Weg" stärker auf eine geistliche Erneuerung auszurichten. Andere werteten ihn als Ermutigung für den eingeschlagenen Dialog- und Reformprozess.