Es ist jedes Jahr Berlins wohl lautstärkste Demonstration: Doch beim "Marsch für das Leben" sind es nicht die Teilnehmer aus ganz Deutschland, die Touristen erschreckt aufhorchen lassen.
Hunderte meist junge Gegendemonstranten aus dem linksalternativen Lager geben den "Lebensschützern" eine ohrenbetäubende Begleitmusik mit Sprechchören und Trillerpfeifen.
Störgeräusche begleiten friedliche Demo
Bei der 15. Auflage des Fünf-Kilometer-Marsches am Samstag war es nicht anders. Auf der Wiese beim Reichstagsgebäude, wo sich nach Schätzung der Veranstalter rund 8.000 Gegner von Abtreibungen und aktiver Sterbehilfe eingefunden hatten, übertönte Sacropop von einer Tribüne nur zeitweise die Störgeräusche.
Die Polizei sprach von einer niedrigen vierstelligen Zahl an Demonstranten. 800 Polizisten hatte Berlin an diesem Tag - allerdings auch für andere Kundgebungen - aufgeboten, um einen friedlichen Ablauf sicherzustellen.
Dennoch gelang es einer Gruppe von Frauen, die Tribüne kurzzeitig zu stürmen. "Hätt' Maria abgetrieben, wär' uns das erspart geblieben", skandierten sie, bevor Sicherheitskräfte sie abdrängten.
Bischöfe beim "Saturday for life"
Die Organisatoren vom Bundesverband Lebensrecht (BVL), einem Zusammenschluss von 13 Lebensschutzorganisationen, ließen sich von dem Zwischenfall nicht beirren. In Anspielung an die "Fridays for future"-Demonstration von Klimaschützern am Vortag sprach die BVL-Vorsitzende Alexandra Maria Linder von einem "Saturday for life", einem Samstag für das Leben.
Wie in den Vorjahren konnte Linder dazu eine Reihe kirchlicher Spitzenvertreter begrüßen. Von der katholischen Kirche waren es die Bischöfe Stefan Oster (Passau), Rudolf Voderholzer (Regensburg) und Wolfgang Ipolt (Görlitz) sowie die Weihbischöfe Florian Wörner (Augsburg) und Matthias Heinrich (Berlin).
Die Selbstständige Evangelisch-Lutherische Kirche war durch ihren Bischof Hans-Jörg Voigt vertreten, die Deutsche Evangelische Allianz durch den Vorsitzenden Ekkehard Vetter.
Evangelische Landesbischöfe waren - wie in der Regel - nicht dabei. Berlins evangelischer Bischof Markus Dröge hatte sich im vergangenen Jahr gegen "diese Art von Demonstrationen" gewandt mit der Begründung, sie hätten "mehr polarisiert als zu sachlichen Diskussionen beigetragen".
Bischof Oster gegen Instrumentalisierung des Marschs
Katholische Oberhirten nutzten indes auch dieses Jahr die Möglichkeit, den Marsch mitzuprägen. So kritisierte Oster wie andere Redner vor ihm nachdrücklich, dass es allein in Deutschland jährlich mehr als 100.000 Abtreibungen gebe, und hob das Lebensrecht jedes Menschen von der Zeugung bis zum natürlichen Tod hervor.
Zugleich wandte der Passauer Bischof sich aber gegen eine politische Instrumentalisierung des Marsches. So werde von linker Seite zwar zurecht betont, dass es gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nicht geben dürfe, "also Vorbehalte gegen Menschen, nur weil sie Ausländer sind oder Flüchtlinge oder Behinderte oder Menschen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung", sagte Oster.
"Ungeborenes Kind mit Behinderung" am meisten bedroht
"Die am tödlichsten bedrohte Gruppe von Menschen in unserer Gesellschaft ist heute aber das ungeborene Kind mit Behinderung", betonte er. Rund 90 Prozent der ungeborenen Kinder mit der Diagnose Down-Syndrom würden abgetrieben.
Ein Pränataltest auf Trisomie 21 als Kassenleistung werde diese Quote noch einmal erhöhen, sagte der Bischof voraus und fragte: "Wo bleibt der Protest gegen diese furchtbare gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit?"
Oster warnte auch die politische Rechte, den Marsch zu instrumentalisieren. Wer für den Schutz des Lebens von Anfang bis zum Ende sei, müsse "konsequent auch für den Schutz der anderen Marginalisierten sein, zum Beispiel der Armen, der Menschen auf der Flucht, der Menschen, die im Mittelmeer zu ertrinken drohen", so der Bischof unter dem Applaus der Zuhörer.
Weihbischof Wörner: "Alle denkbaren Hilfen" für Schwangere
Ob die zeitweise von Fotografen belagerte AfD-Politikerin Beatrix von Storch klatschte, war nicht zu erkennen. Beim Abschlussgottesdienst verurteilte auch Wörner eine wachsende "Gleichgültigkeit und Unbekümmertheit" mit Blick auf die Würde des ungeborenen Kindes.
Zugleich mahnte er wie Oster, Schwangeren "alle denkbaren Hilfen" bereitzustellen. Für die Gegendemonstranten war es kein Anlass, ihre Protestgesänge einzustellen.