DOMRADIO.DE: Was genau soll dieses Lieferkettengesetz regeln?
Markus Demele (Generalsekretär Kolping International): Das Lieferkettengesetz wäre ein Versuch, den Konsumenten von seiner Verantwortung zu entlasten. Das heißt, dass dieser nicht immer schauen muss, wie er denn ein Produkt kaufen kann oder eine Dienstleistung beziehen kann, bei dem die Menschenrechte wirklich gewahrt sind.
Bei jedem Produkt gibt es ganz viele einzelne Schritte. Etwa beim Pullover beginnt alles auf einer Plantage irgendwo in Brasilien. Und bis zum fertigen Pullover im Laden gibt es noch einige Stationen.
Ein Lieferkettengesetz würde einen gesetzlichen Rahmen dafür bieten, dass die Verantwortlichen in den Unternehmen verpflichtet sind nachzuweisen, dass sie nachweißlich alles dafür getan haben, dass die Menschenrechte bei der Herstellung eines Gutes wirklich berücksichtigt worden sind.
DOMRADIO.DE: In Deutschland gibt es keine gesetzlichen Vorgaben. Über einen Nationalen Aktionsplan gibt es bislang nur Leitlinien. Der Plan: Unternehmen kontrollieren freiwillige ihre Wertschöpfungsketten. Das heißt, das wird nicht von extern kontrolliert. Die Bundesregierung hat das Thema im Koalitionsvertrag angerissen. Doch was steht dahinter?
Demele: Die Regierung hat sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, zu überprüfen, ob die freiwillige Selbstverpflichtung ausreicht. Besonders das Bundesentwicklungsministerium hat dies angestoßen. Derzeit werden Unternehmen befragt, was sie bereits in Richtung Arbeitsschutz und Standards tun.
Die Rückläufer sind aber so spärlich, dass zum einen die Antwortfrist verlängert werden musste. Zum anderen wurde eine neue Kategorie eingeführt: Die Kategorie derjenigen, die sich bemühen. Man bemüht sich etwas zu tun und das gilt dann in der Wertung schon als etwas Positives. Da würden wir als Zivilgesellschaft natürlich meinen: Das reicht noch nicht. Die Absicht, etwas Gutes zu tun, ist noch nicht die Durchsetzung einer Absicht.
DOMRADIO.DE: Entwicklungsminister Müllers plant nun ein Lieferkettengesetz. Bekommt er Unterstützung dafür?
Demele: Diese Initiative zum Lieferkettengesetz stammt von einem ganz breiten Bündnis von verschiedenen kirchlichen, zivilgesellschaftlichen Organisationen, von Gewerkschaften - also alle, die sich wirklich darum bemühen, dass die Menschenwürde eben nicht nur hier bei uns auf dem deutschen Arbeitsmarkt geschützt wird, sondern auch international.
DOMRADIO.DE: Kritik kommt aus den Reihen der Industrie. Was der Minister plant, gefährde deren Existenz, heißt es. Globale Konkurrenten würden die deutschen Firmen vom Markt drängen. Ist diese Angst begründet?
Demele: Das Spannende ist ja, dass die wirklich groß aufgestellten Unternehmen das genaue Gegenteil sagen. Es gibt Vertreter von vielen Unternehmen, die sagen: "Wir wollen einen gemeinsamen Boden haben, auf dem wir uns alle bewegen können, damit es keine Ausreißer nach unten gibt". Das heißt: "Wir halten uns an bestimmte Standards und das ist dann auch die Benchmark für menschenwürdige Arbeit." Wenn ein Geschäftsmodell auf der Ausbeutung von Menschen beruht und nur dann erfolgreich ist, dann ist es einfach kein richtiges Geschäftsmodell.
DOMRADIO.DE: Was könnte das Gesetz bewirken? Reicht das aus?
Demele: Es steht und fällt natürlich mit der Sanktionsmacht, die so ein Gesetz haben kann. Im Moment gibt es Vorschläge, die dafür sorgen würden, dass die Verantwortlichen in den Unternehmen sogar mit Gefängnisstrafen belegt werden können. Wenn ihnen nachgewiesen werden kann, dass sie sich nicht hinreichend um die Einzelschritte der Lieferkette mit Blick auf die Menschenrechte gekümmert haben, kann das eine Folge sein.
Das wird der Dreh und Angelpunkt sein, wie sanktionsmächtig so ein Gesetz ist. Der Teufel liegt leider im Detail. Welche Institutionen in Deutschland haben denn überhaupt die Möglichkeit, das zu kontrollieren? Wo wird das angedockt? Am Gewerbeaufsichtsamt oder an anderen Bundesbehörden? Das ist das Klein-Klein der Verhandlungen der nächsten Monate. Da ist noch ganz viel Musik drin.
Das Interview führte Julia Reck.