Caritas International zur ökologischen Situation im Amazonasgebiet

"Drei verschiedene Krisen"

Im Vatikan findet derzeit noch bis zum 27. Oktober die Amazonas-Synode statt. Klimawandel und Ökologie sind dabei zentrale Themen. Claudio Moser von Caritas International gibt einen Überblick über die Probleme im Amazonasgebiet.

Amazonasgebiet (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Die Bischöfe und Experten sprechen auf der Amazonas-Synode über die Bewahrung der Schöpfung – durch die jüngsten Brände am Amazonas ein dringliches Thema. Was erwarten Sie sich von diesem Treffen?

Claudio Moser (Referatsleiter für Lateinamerika bei Caritas International): Das Treffen ist ja vor langer Zeit anberaumt worden. Die Brände in Amazonien waren dieses Jahr besonders schlimm und heftig. Es gibt sie aber Jahr für Jahr. Die Problematik liegt also tiefer. Es gibt ja eine sogenannte In-Wert-Setzung Amazoniens, als ob das Gebiet so, wie es ist, keinen Wert habe. Man geht von einem Narrativ aus, nach dem Amazonien ausgebeutet werden muss, wobei möglichst viel von den Edelhölzern abgeholzt und Bodenschätze abgebaut werden. Auch das energetische Potenzial der Wasserkraftwerke soll ausgenutzt werden. Das alles findet im Hintergrund statt, weswegen es in Amazonien diese Krise gibt. Und das hatten die Kirchenvertreter und -vertreterinnen schon vor langer Zeit erkannt. Und jetzt ist der Moment, wo sie sich, vom Vatikan eingeladen, zu einer zentralen Versammlung zusammenfinden, um Lösungen zu finden und sich aus dieser facettenreichen Krise herauszubewegen.

DOMRADIO.DE: Was sollten sie da für Schwerpunkte setzen, um ebensolche Lösungen zu finden?

Moser: Kardinal Claudio Hummes aus Brasilien hat quasi die Rolle, die Ergebnisse der Synode zusammenzutragen. Und er hat im Vorfeld schon darauf hingewiesen, dass es drei verschiedene Krisen gibt: Es gibt eine Krise im Bereich des Klimawandels. Es gibt eine Krise im Bereich der Umweltverschmutzung und es gibt eine soziale Krise in Amazonien.

DOMRADIO.DE: Lassen Sie uns auf ein Detail schauen. Ein ganz großes Problem ist der illegale Goldabbau. Der wurde in den letzten Jahren zur wichtigsten Einkommensquelle der Menschen in der Region rund um den Amazonas. Wie gravierend sind die entstandenen Folgen für die Leute dort?

Moser: Genau an diesem Beispiel kann man alle drei genannten Krisen festmachen. Beim Goldabbau wird sehr viel zerstört. Zum Beispiel in Peru wird mit großen Pumpen das ganze Erdreich aufgeschlammt. Darin wird dann nach Gold gesucht. Das Gold wird herausgelöst aus dem Schlamm. Dafür wird oft Quecksilber verwendet – oder Zyanid. Diese Stoffe verschmutzen die Flüsse. Quecksilber setzt sich fest in der Nahrungskette. Die Fische werden damit verseucht. Und wenn die Menschen die Fische essen, resultieren daraus schreckliche Erkrankungen.

Gleichzeitig ist das natürlich eine soziale Krise, weil diese Menschen aus Armutsgründen aus dem Hochland Perus zum Beispiel nach Puerto Maldonado kommen, wo sie dann dieser Tätigkeit nachgehen. Es sind arme Schlucker und nach dem Goldrausch werden sie es sehr wahrscheinlich wieder sein. Aber in der Zeit, in der sie da in diesem Eldorado sind, verursachen sie auch viele Probleme, zum Beispiel durch Prostitution und sogar auch Kinderprostitution. Nicht zuletzt leistet das natürlich einen Beitrag zur Zerstörung des Regenwaldes. Es werden Straßen in den Regenwald geschlagen, es werden Staudämme gebaut. Viele Produkte werden dort angebaut, die nicht nachhaltig angebaut werden können. Und das ist dann eine weitere Zelle der Zerstörung im Amazonas-Regenwald.

DOMRADIO.DE: Sie von Caritas International wollen entgegensteuern, Sie wollen die Menschen vor Ort unterstützen. Mit welchen Projekten versuchen Sie das?

Moser: Wir versuchen der Komplexität irgendwie zu begegnen, indem wir natürlich auch außerhalb Amazoniens ansetzen und versuchen, lebenswürdige Lebensbedingungen für alle Menschen vor allen Dingen in Armut zu ermöglichen, damit dieser Wanderungsdruck auf Amazonien vermindert werden kann. Wir versuchen in Amazonien selbst, die dort lebenden einheimischen Bevölkerungsgruppen wie indigene Gruppen oder Nachfahren von schwarzen Sklaven, die schon seit Generationen dort leben, in ihrem Bemühen zu unterstützen, weiterhin an die Natur angepasst zu wirtschaften. Und wir versuchen, an die Öffentlichkeit zu bringen, dass bestimmte Arten des Wirtschaftens Schäden anrichten.

DOMRADIO.DE: Kardinal Marx hat gestern bei der Synode gesagt, dass wir vor allen Dingen in den Industrieländern Verantwortung für den Klimawandel und die Umweltzerstörung im Amazonasgebiet übernehmen müssen. "Globale Gleichgültigkeit muss ein Ende haben," hat er gesagt. Wie schätzen Sie das denn ein, inwieweit sind wir uns hier in den Industrieländern überhaupt bewusst über die Probleme im Amazonasgebiet?

Moser: Man sieht Amazonien vor allen Dingen auch als Problem für die weltweite Klimakrise. Was in letzter Zeit in der Öffentlichkeit war, waren diese Brände im Amazonasgebiet. Dabei wird aber übersehen, dass vieles, was dort in Amazonien gemacht wird und gemacht wurde, schon seit vielen Jahren mit einem Modell zusammenhängt, in dem wir, die Industrieländer und reiche Bevölkerungsgruppen von der Ausbeutung der Bodenschätze profitieren. Aluminium, Eisenerz, Gold, Erdöl, all das wird in Amazonien gefördert und trägt zur Zerstörung dieses einmaligen Lebensraums bei.

Hinzu kommt, dass dann auf gerodeten Flächen Rinder gehalten werden, die dem Fleischkonsum dienen oder Soja angepflanzt wird, das auch für den Export bestimmt ist, um unsere Massentierhaltung mit Futtermitteln zu versorgen. Da haben wir Konsumenten mit unserer Lebensweise einen ganz starken Beitrag geleistet, wobei das nicht nur eine Frage des individuellen Lebensstils eines einzelnen Menschen ist, sondern wir müssen bedenken: Das ist ein System. Es wird ein System errichtet, das dazu führt, dass Amazonien quasi zerstört wird, um einem bestimmten Konsummodell und Produktionsmodell weltweit dienlich zu sein.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR