Fast einmal pro Stunde, zwanzigmal am Tag, ist ein junger Mensch in Deutschland so verzweifelt, dass er versucht, sich das Leben zu nehmen. Rund zwei dieser Versuche, so eine Auswertung der Caritas, enden tödlich. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts nehmen sich jährlich rund 500 Jugendliche im Alter zwischen 10 und 25 Jahren das Leben. Suizid ist damit nach Verkehrsunfällen die zweithäufigste Todesursache bei jungen Menschen.
Die Suizidrate unter deutschen Jugendlichen ist im internationalen Vergleich niedrig. Dennoch haben Experten diese Gruppe besonders im Blick: der Deutsche Caritasverband etwa mit dem Internetprojekt [U25], bei dem junge Menschen Gleichaltrige per E-Mail um Beistand und Rat bitten können. Vor wenigen Wochen hat der Verband ergänzend einen Youtube-Kanal gestartet. "Oft ist die Hemmschwelle für junge Menschen mit suizidalen Gedanken zu hoch, eine Beratungsstelle in ihrer Region aufzusuchen", erklärte Caritas-Präsident Peter Neher.
Sozialen Medien nicht mehr wegzudenken
Auch für andere Helfer sind das Internet und die Sozialen Medien nicht mehr wegzudenken. Der Dachverband "Nummer gegen Kummer" etwa ist seit rund einem Jahr auch beim Bilderdienst Instagram vertreten. Ziel sei es, die unterstützenden Angebote bei der jungen Zielgruppe bekannter zu machen. Beratung finde dort aus Gründen der Anonymität und Vertraulichkeit nicht statt.
Solche gezielten Präventionsangebote braucht es, meint Dörte Heger, Gesundheitsökonomin am RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung. Das Institut hat kürzlich eine Studie vorgestellt, nach der die Schule eine Rolle bei der höheren Suizidrate unter Minderjährigen nach dem Ferienende spielt. Während der Ferien ist die Wahrscheinlichkeit einer Selbsttötung unter Kindern und Jugendlichen demnach um 19 Prozent verringert. Dagegen sei die Suizidrate an den ersten beiden Schultagen nach den Ferien um gut 30 Prozent erhöht.
Schule und psychischen Krisen
Untersucht wurden Daten aus den Jahren 2001 bis 2015. "Ein Vorteil der Betrachtung eines so langen Zeitraums ist, dass man die Sommerferien in den unterschiedlichen Bundesländern beobachten kann", erklärt Heger. Der Wechsel von sommerlicher Fröhlichkeit zum grauen Herbst werde daher bei der Auswertung der Daten bereits berücksichtigt und beeinflusse nicht die Ergebnisse. Der Anstieg der Suizidrate nach den Ferien deute vielmehr darauf hin, dass ein gewisser Zusammenhang zwischen der Schule und psychischen Krisen von Jugendlichen bestehe, sagt Heger.
Allerdings könne die Studie nicht zeigen, ob dies an Problemen mit Mitschülern, Schwierigkeiten im Unterricht oder an ganz anderen Gründen im schulischen Umfeld liege. "An vielen Schulen besteht bereits eine Sensibilität für das Thema", sagt die Expertin. Sinnvoll könne es jedoch sein, in den Tagen nach den Ferien noch stärker auf die psychische Verfassung der Schüler zu achten: "Der Schulbeginn ist offenbar eine besondere Phase."
Die Gefahren durch Mobbing und Stress sind auch eines der Themen auf der Herbsttagung der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention (DGS), die ab Freitag in Regensburg stattfindet. Fachleute aus dem deutschsprachigen Raum beraten dort über "Suizidalität und selbstdestruktives Verhalten bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen". Auf der Tagesordnung stehen auch die Schattenseiten des World Wide Web, wo Suizid bisweilen verherrlicht wird.
Besonders erschütternd
Selbsttötungen junger Menschen erlebten viele als besonders erschütternd, sagt der Leiter des Nationalen Suizidpräventionsprogramms (NaSPro), Reinhard Lindner. "Man sieht, was derjenige noch alles hätte erleben können - und wer älter ist, erinnert sich vielleicht an eigene Krisen, die er bewältigen konnte. Und man hätte dem Betroffenen gewünscht, diese Krisen zu überstehen." Insofern sei es wichtig, Suizidalität unter jungen Menschen in den Blick zu nehmen, betont Lindner, der Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und psychotherapeutische Medizin an der Universität Kassel ist.
In anderen Altersgruppen sind die Suizidraten höher, besonders stark sind Männer über 80 Jahren betroffen. Lindner hält indes nichts davon, die Altersgruppen gegeneinander auszuspielen: "Jeder Suizid wirft die Frage auf, ob es nicht doch einen anderen Weg hätte geben können."