DOMRADIO.DE: Im Amazonasgebiet herrscht so großer Priestermangel, dass die Gemeinden nicht regelmäßig die Eucharistie empfangen können. Man denkt bei der Synode im Vatikan derzeit wohl auch darüber nach, Ausnahmen für den Zölibat zu finden. Ein Argument dabei lautet, dass der Zölibat nicht so wichtig sei wie die Eucharistie. Die Eucharistie ist eine Glaubensfrage, der Zölibat eher eine Tradition - ganz simpel ausgedrückt. Kann man das so sagen?
Dr. Werner Kleine (Pastoral- und Glaubensreferent der Katholischen Citiykirche Wuppertal): Das kann man so sagen. Der Zölibat hat natürlich durchaus dahingehend eine biblische Wurzel, dass Jesus selbst sagt, dass es eine Ehelosigkeit um des Himmelreiches Willen geben kann.
Auch Paulus schreibt im ersten Korintherbrief über einen besonderen Wert der Ehelosigkeit. Allerdings muss man bei ihm schon die Einschränkung machen, dass er das nicht als einen lebenslangen Prozess sieht, sondern mit einem ganz besonderen Blick auf die Wiedererwartung Christi, die er als quasi unmittelbar bevorstehend ansieht. Wenn es nur um zwei, drei Tage geht, kann man wunderbar zölibatär leben. Aber er hat da keine jahrzehntelange Existenz in dem Sinne im Blick gehabt.
DOMRADIO.DE: Es ist eine Tradition, die eher aus dem Mittelalter kommt, oder?
Kleine: Ich bin kein Kirchenhistoriker. Aber ich weiß, dass es historisch auch darum ging, ganz bestimmte weltliche Aspekte, die unter den Priestern Raum gegriffen hatten, wie Pfründestreitigkeiten oder Erbrechtstreitigkeiten, zu unterbinden, weil der geistliche Aspekt des Priesteramtes dadurch in den Hintergrund geriet.
Da spielte die Einführung des Zölibates, die übrigens alles andere als konfliktfrei vonstatten lief, eine besondere Rolle, um den geistlichen Wert des Amtes wieder in den Vordergrund zu holen.
DOMRADIO.DE: Auf der anderen Seite gibt es die Eucharistie, von der Katholiken sagen, dass das der Kern des Glaubens ist. Warum ist das so wichtig?
Kleine: Das Zweite Vatikanische Konzil sagt in verschiedenen Dokumenten und auch in dem besonders wichtigen Dokument "Lumen gentium", dass die Eucharistie Mitte, Höhepunkt und Quelle des christlichen Lebens ist. Im Bischofsdekret wird auch von der Mitte des christlichen Lebens gesprochen. Wir feiern in der Eucharistie Kreuzestod und Auferstehung Jesu Christi. Das ist in der Tat die Mitte unseres christlichen Glaubens.
Paulus schreibt auch darüber im ersten Korintherbrief, dass der christliche Glaube ohne Kreuzestod und Auferstehung nutzlos wäre. In dem Einsetzungsbericht, den er im ersten Korintherbrief präsentiert, schreibt er deutlich, dass wir den Tod des Herrn verkünden, solange wir dieses Mal feiern.
Deshalb ist es so unglaublich wichtig, dass wir die Eucharistie in der Mitte der Gemeinde haben, weil wir damit immer auf den Wurzelgrund unseres Glaubens zurückgeführt werden.
DOMRADIO.DE: Wenn man jetzt auf dem Standpunkt stünde, man mache Ausnahmen für den Zölibat, weil es wichtiger ist, dass die Gemeinden am Amazonas Eucharistie feiern, dann wäre das ja noch nicht einmal etwas Nicht-Dagewesenes. Es gibt Kirchen in der katholischen Kirche, die nicht dem lateinischen Ritus entsprechen, bei denen das so ist.
Kleine: So ist es. Erst einmal gibt es natürlich die große Schwesterkirche mit den Kirchen der Orthodoxie, die wie wir in der apostolischen Sukzession stehen, aber verheiratete Priester kennen.
Wir kennen aber auch innerhalb der katholischen Kirche, wenn man an die orientalischen Kirchen oder die Kirchen des Ostens denkt, durchaus verheiratete Priester.
Es wäre noch nicht einmal eine ganz große Revolution, wenn man den Zölibat an dieser Stelle dahingehend lockern würde, dass er nicht mehr verpflichtend mit der Weihe verbunden wäre.
DOMRADIO.DE: Es gibt auch evangelische Pfarrer mit Familie, die zur katholischen Kirche übertreten und auch nicht neu geweiht werden müssen.
Kleine: Auch das gibt es. Wobei das natürlich immer eine bestimmte Spezialität hat, weil eine evangelische Pfarrerin, die übertritt, ja nicht Priesterin werden kann. Das muss man auch sagen.
Wir kennen also durchaus verheiratete Priester innerhalb der katholischen Kirche, die in nichts, was ihre Weihevollmacht angeht, den zölibatär lebenden Priestern nachstehen.
DOMRADIO.DE: Eine Woche noch wird bei der Amazonas Synode diskutiert. Wenn alles nun so kommen sollte, was ja nicht ausgeschlossen ist, würde das Problem dann gelöst werden?
Kleine: Erst einmal geht die Amazonas-Synode von einer regionalen Fragestellung aus. Diese regionale Fragestellung darf man in Meinungsäußerungen noch nicht einmal auf Lateinamerika als Ganzes beziehen. Es geht um die Evangelisierung der indigenen Völker, bei denen auch nochmal eine bestimmte Mentalität herrscht, vielleicht sogar ein bestimmtes Unverständnis, zölibatär Lebenden gegenüber. Man wird sich davon nicht zu viel erwarten dürfen. Es geht um eine sehr, sehr speziell zugeschnittene Fragestellung.
Auf der anderen Seite entsteht, wenn es jetzt mit Blick auf die Evangelisierung der indigenen Völker geht, natürlich sofort die Frage: Warum sollte das dann nicht angesichts der Not, die viele Gemeinden haben, eben nicht sonntäglich die Eucharistie feiern zu können, nicht generell zum Prinzip erhoben werden?
Ich persönlich denke, dass wir als Kirche da vor einer Frage stehen, wie wir die Prioritäten neu setzen müssen. Wenn die Eucharistie Mitte, Höhepunkt und Quelle des christlichen Lebens ist, die Bischöfe nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Verpflichtung haben, dafür Sorge zu tragen, dass sie in der Mitte der Gemeinden gefeiert werden kann, und das auch noch oberste Priorität besitzt, dann muss sich an dieser Priorität alles andere messen lassen.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.