Klimaforscher zu Amazonas-Synode: Papst schätzt die Wissenschaft

"Der ökologische und soziale Kollaps Amazoniens laufen parallel"

Brasiliens angesehenster Klimaforscher Carlos Nobre hat auf Einladung des Vatikan an der ersten Woche der Amazonas-Synode teilgenommen. Im Interview spricht er über seine Eindrücke und seine Hoffnungen für die bedrohte Amazonasregion.

Autor/in:
Thomas Milz
Waldbrände im Amazonasgebiet / © Gabriela Biló (dpa)
Waldbrände im Amazonasgebiet / © Gabriela Biló ( dpa )

KNA: Herr Nobre, was war Ihr herausragendstes Erlebnis auf der Synode?

Carlos Nobre (Klimaforscher): Papst Franziskus hat in seiner Umwelt-Enzyklika "Laudato si" von 2015 ja von "unserem gemeinsamen Haus Amazonien" gesprochen und das Konzept der ganzheitlichen Ökologie vorgestellt. Das habe ich auf der Synode als ein durchgehendes, tief in der Kirche verwurzeltes Konzept erlebt. Und das war sehr wichtig für mich, denn es stiftet ein vereinendes Moment innerhalb der amazonischen Kirche. Aber als Wissenschaftler möchte ich eigentlich nichts zu religiösen Themen sagen.

KNA: Als Klimaforscher betrachten Sie Amazonien oft auf Satellitenbildern. Auf der Synode haben Sie aus erster Hand Berichte "vom Boden" gehört. Was erfuhren Sie dort Neues?

Nobre: Ich habe Berichte von Dutzenden Bischöfen und Priestern gehört, die den Alltag Amazoniens sowohl in den Großstädten wie in abgelegenen Regionen erleben. Sie berichteten von der kritischen Situation, in der Amazonien steckt, die steigende Gewalt, die steigende Illegalität und das sich verschlechternde gesellschaftliche Klima. All das ist sehr besorgniserregend.

KNA: Wie bewerten Sie das als Wissenschaftler?

Nobre: Als Wissenschaftler beschwöre ich stets das Bild des "Kollapses des amazonischen Regenwaldes" durch die Abholzung und den Klimawandel. Also eine rein wissenschaftliche Betrachtungsweise. Aber auf der Synode wurde mir bewusst, dass es in Amazonien auch das Risiko eines sozialen Kollapses gibt. Es ist dringend nötig, unser gemeinsames Haus Amazonien wieder aufzubauen, denn es steht kurz davor, zusammenzubrechen, und zwar in allen Bereichen, nicht nur ökologisch.

Wir brauchen dringend ein neues Modell für Amazonien, das den Schutz der Wälder und der Kulturen beinhaltet, besonders der indigenen Völker, der Quilombolas (Nachfahren von Sklaven) und Ribeirinhos (Bewohnern der Flussufer) sowie der neu angekommenen Siedler. Wir stehen kurz vor einem kompletten Kollaps, der ganz Amazonien durcheinander bringen wird.

KNA: Was droht denn eher zu geschehen - der ökologische oder der soziale Kollaps?

Nobre: Beide laufen parallel ab. Da sind die Menschenrechtsverletzungen, die Gewalt, die Missachtung von Rechten, die Prostitution sowie Krankheiten. Das alles hat in Amazonien rasant zugenommen und ist in den entlegensten Dörfern angekommen. Die ökonomische und soziale Armut dominiert heute ganz Amazonien, sowohl in Brasilien wie auch in den Anrainerstaaten. Neben dem Schutz des Waldes müssen wir also dringend auch die humanen Werte erneuern. Wir brauchen einen neuen Blick auf Amazonien, und da stehen alle Regierungen der Region in der Pflicht.

KNA: Sie warnen stets, dass der Amazonaswald bald an einen kritischen Punkt kommt, ab dem seine Zerstörung nicht mehr aufzuhalten ist. Wieviel Zeit haben wir denn noch?

Nobre: Bisher wurden 17 Prozent des Waldes abgeholzt. Wir haben jetzt noch zwischen 15 und 30 Jahre, bevor wir vermutlich an diesen Punkt kommen.

KNA: Und was geschieht dann?

Nobre: Wenn wir die Erderwärmung und die Abholzung nicht bremsen, treten wir in einen unumkehrbaren Prozess der Versteppung ein. 50 oder 60 Prozent Amazoniens könnten sich in eine Trockensavanne verwandeln. Das bedeutet einen enormen Verlust an Biodiversität, aber auch die Freisetzung großer Mengen von CO2, das dann in die Atmosphäre gelangt und den Klimawandel weiter antreibt. Und dazu käme der kulturelle Verlust, wenn die Hälfte des Waldes verschwindet.

KNA: Sind Sie nun optimistischer oder pessimistischer was die Zukunft Amazoniens angeht?

Nobre: Ich bin sehr viel realistischer aus der Synode rausgegangen. Aber der erste Schritt auf dem Weg zu Lösungen ist die Anerkennung der Probleme. Und die Synode ist auf Lösungen ausgerichtet, was mir andererseits viel Optimismus gibt.

KNA: Sie haben 30 Jahre im staatlichen Klimainstitut Inpe gearbeitet, dessen Direktor vor einigen Wochen von der Regierung entlassen wurde. Präsident Jair Bolsonaro hält die Inpe-Daten zur Abholzung für falsch und zweifelt am Klimawandel. Historisch betrachtet scheinen es seltsame Zeiten zu sein, in denen die Politik den Wissenschaftlern misstraut, während die Kirche die Wissenschaftler einlädt.

Nobre: Es ist gut, dass die Wissenschaft den Religionen als Orientierungspunkt dient. Denn in Brasilien erleben wir gerade das Erstarken einer wissenschaftsfeindlichen Bewegung. Deshalb sind wir besonders froh, dass Papst Franziskus und die katholische Kirche den Wert der Wissenschaft anerkennen.

Das Interview führte Thomas Milz.


Indigene aus dem Amazonasgebiet bei einer religiösen Versöhnungsfeier / © Stefano Dal Pozzolo (KNA)
Indigene aus dem Amazonasgebiet bei einer religiösen Versöhnungsfeier / © Stefano Dal Pozzolo ( KNA )

Papst Franziskus mit Teilnehmern der Amazonas-Bischofssynode, darunter Indigene / © Vatican Media (KNA)
Papst Franziskus mit Teilnehmern der Amazonas-Bischofssynode, darunter Indigene / © Vatican Media ( KNA )
Quelle:
KNA