Kurienerzbischof Rino Fisichella hält einen amazonisch-katholischen Ritus für denkbar, der, ähnlich dem der orientalisch-katholischen Kirchen, eine "Kirche mit amazonischem Antlitz sichtbar und spürbar zu machen" könnte. Damit greift er einen Wunsch nach einer größeren Inkulturation der Liturgie in Amzonien auf. Dieser Wunsch der Gemeinden war schon im Arbeitsdokument der Synode dokumentiert worden. Allerdings beschränkt Fisichella dies ausdrücklich nicht nur auf die liturgischen Riten, sondern denkt offensichtlich an eine eigenständige Rituskirche, die dann auch ein eigenes Kirchenrecht haben könnte.
Eigene Traditionen in der Kirchenordnung
Der große Unterschied zu den orientalisch-katholischen Rituskirchen ist allerdings, dass dort bereits eigene Traditionen nicht nur in der Liturgie, sondern auch in der Kirchenordnung existierten, als diese Kirchen in die volle Gemeinschaft der katholischen Kirche integriert wurden. Die Kirche Amazoniens ist aber gerade keine getrennte Kirche mit eigener Tradition, sondern schon immer Teil der römisch-katholischen Kirche mit ihrer gewachsenen Gestalt, deren kulturellen Prägungen seit einiger Zeit verstärkt wahrgenommen werden. Der jetzt geäußerte Wunsch zielt also auf eine größere Integration indigener Ausdrucksformen und auf eine entschiedenere Form von Inkulturation.
Nun ist theoretisch die Entwicklung einer eigenständigen amazonisch-katholischen Rituskirche denkbar. Allerdings dürften in der Praxis viele Hürden existieren, die einer Realisierung in absehbarer Zeit vermutlich im Wege stehen würden. Denn wenn diese amazonisch-katholische Kirche wirklich aus der indigenen Kultur heraus geformt werden sollte, kann diese nicht einfach in Rom konzipiert und errichtet werden, sondern es bedürfte in vielen Bereichen des kirchlichen Lebens einer eigenständigen Aufbauarbeit und Entwicklung vor Ort.
Realistischer dürfte es sein, die Frage nach einer größeren Abstimmung der liturgischen Riten auf die indigene Kultur offensiv anzugehen. Dabei wäre einerseits auf das zu schauen, was sich schon heute in den Bistümern und Gemeinden an Eigenbrauch entwickelt hat, aber es wäre – wie schon im Arbeitsdokument herausgestellt – "notwendig, die naturnahen Riten, Symbole und Festelemente indigener Kulturen, die ins liturgisch-sakramentale Ritual aufgenommen werden sollen, zu überprüfen" (Nr. 126). Es wäre wünschenswert, dass sich daraus Perspektiven ergeben, die Liturgie des römischen Ritus besser auf die Kultur Amazoniens auszurichten. Wie weit dabei traditionelle Formen der betroffenen Gebiete und Völker für die Gegenwart weiterhin relevant sind, müsste natürlich vor Ort aufmerksam geprüft werden.
Blick nach Afrika
Beispielhaft für diesen Prozess könnten die Bemühungen in der Kirche in Zaire (heute Kongo) sein. Bereits 1969 griffen die dortigen Bischöfe eine Anregung Papst Pauls VI. auf und entwickelten bis 1973 einen ersten Entwurf für einen "Zairischen Ritus der Eucharistiefeier". Es sollte weitere 15 Jahre dauern, bis als Frucht dieser Bemühungen das "Römische Messbuch für die Diözesen Zaires" von der Gottesdienstkongregation gebilligt wurde und von den Bischöfen veröffentlicht werden konnte.
Mancher hat bedauert, dass das ortskirchliche Buch nicht den Titel "Zairisches Messbuch" tragen durfte und so Ausdruck einer größeren Eigenständigkeit geworden wäre. Unabhängig von römischen Befürchtungen, es könnten neue Riten entstehen, erinnert der Titel aber zu Recht daran, dass der Messritus der Kirche im Kongo gerade keine vorbildlose Erfindung ist, sondern eine situative Weiterentwicklung der Liturgie der römisch-katholischen Kirche. Es dürfte kein Zufall sein, dass die auch schon auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil vorgetragene Idee eines ganz neuen Messritus keine Zukunft gehabt hat. Denn trotz aller Innovationen und partiellen Brüche entstehen liturgische Ordnungen immer auf der Basis älterer gottesdienstlicher Praxis.
Ganz auf dieser Linie könnte auch der Wunsch nach einer tieferen Inkulturation der Liturgie in die Lebenswelt der indigenen Bevölkerung Zukunft haben. In der Begegnung der römischen Tradition mit der Kultur Amazoniens kann etwas Neues entstehen, das seine Wurzeln in der größeren Gemeinschaft der römisch-katholischen Kirche nicht verleugnet, sondern mit dem verbindet, was dem Lebensgefühl und Glaubensausdruck der Kirche Amazoniens im 21. Jahrhundert besser entspricht. Ob daraus in einem längeren Prozess eine größere Eigenständigkeit und eine eigene Rituskirche erwachsen werden, kann und muss heute nicht entschieden werden.
Information zum Gastkommentator: Winfried Haunerland ist Priester, Professor für Liturgiewissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Direktor des Herzoglichen Georgianums.