DOMRADIO.DE: Was ist ein Kirchenlehrer?
Jan Hendrik Stens (Liturgie-Redaktion): Als Kirchenlehrer verehrt die katholische Kirche Heilige, die eine herausragende Bedeutung für die Glaubenslehre haben. Zurzeit tragen 36 Heilige diese Bezeichnung. Dazu zählen Kirchenväter aus der Frühzeit wie Ambrosius und Augustinus, bedeutende Theologen des Mittelalters wie Thomas von Aquin und Hildegard von Bingen, aber auch Heilige der Neuzeit wie Alfons Maria von Liguori und Thérèse von Lisieux.
DOMRADIO.DE: Und was hat es mit den Patronen Europas auf sich?
Stens: Hier handelt es sich um Heilige, die die kulturellen Grundlagen Europas repräsentieren und für die nationale und geistliche Vielfalt des Kontinents stehen. Zurzeit sind dies sechs Personen, zu denen Benedikt von Nursia als Vater des abendländischen Mönchstums zählt. Cyrill und Methodius stehen für die slawische Kultur. Birgitta von Schweden repräsentiert die Kirche in Nordeuropa. Katharina von Siena steht als geweihte Jungfrau und Kirchenlehrerin für die Erneuerung des religiösen Lebens und Teresia Benedicta vom Kreuz – mit weltlichem Namen Edith Stein – ist eine Brückenbauerin zwischen Christen und Juden.
DOMRADIO.DE: Treffen denn diese Kriterien von Kirchenlehrern und Patronen Europas auch auf Johannes Paul II. zu?
Stens: In beiden Fällen sind die Verdienste dieses Papstes nicht von der Hand zu weisen. Johannes Paul II. war Professor für Moraltheologie und Sozialethik. Als Papst hat er viele Enzykliken dazu verfasst. Bekannt ist vielen auch seine "Theologie des Leibes". Allerdings kommt es bei Kirchenlehrern auf die Langzeitwirkung ihres Denkens an, weshalb bislang eine Erhebung auch immer mit entsprechender zeitlicher Verzögerung erfolgt ist. Die kürzeste Zeitspanne zwischen Tod und Erhebung zum Kirchenlehrer betrug bei Alfons Maria von Liguori immerhin auch 84 Jahre. Meist sind es aber Jahrhunderte, die vergehen.
DOMRADIO.DE: Und wie sieht es mit Johannes Paul II. als Patron Europas aus?
Stens: Auch hier sehe ich große Verdienste. Bei der Beendigung des Sozialismus in Polen wird ihm ebenso eine große Rolle zugeschrieben wie auch beim Zusammenbruch des Ostblocks überhaupt. Denken wir da an die Versetzung Kardinal Meisners von Berlin nach Köln und die Gespräche, die dieser mit dem Papst damals geführt hat. Ich kann mir gut vorstellen, dass Johannes Paul II. eines Tages als siebter Schutzpatron Europas die Reihe der bisherigen Heiligen ergänzt.
DOMRADIO.DE: Vor kurzem kam aus Polen die Idee, die Eltern von Johannes Paul II. seligsprechen zu lassen. Gibt es hier einen Zusammenhang?
Stens: Ich glaube, dass den polnischen Bischöfen durchaus daran gelegen ist, das Erbe Johannes Pauls zu bewahren und auch zu verstärken.
Die gewünschte Erhebung zum Kirchenlehrer könnte auch kirchenpolitisch motiviert sein. Durch "Amoris laetitia" sehen einige Theologen und Kirchenvertreter das theologische Erbe Johannes Pauls in Gefahr. Beispielhaft dafür ist die Kontroverse um das nach ihm benannte Päpstliche Institut für Studien zu Ehe und Familie. Einige Mitarbeiter dieses Instituts hatten in der Vergangenheit Papst Franziskus die Aufweichung moralischer Prinzipien bezüglich Ehe und Familie vorgeworfen. Franziskus entpflichtete diese Mitarbeiter, schloss das Institut und gründete es 2017 als "Päpstliches Theologisches Institut Johannes Paul II. für Ehe- und Familienwissenschaften" neu, nachdem er zuvor schon eine inhaltliche Neuausrichtung angemahnt hatte.
Ich denke, dass dieser Streit auch einer der Gründe für den Wunsch der polnischen Bischöfe sein könnte. Insofern dürfte es spannend werden, ob und wie Papst Franziskus darauf reagieren wird.
Das Interview führte Heike Sicconi.