Father Harold Robert White verabreichte seinen Opfern Alkohol oder nahm sie mit auf Ausflüge. Dann missbrauchte er sie und trug ihnen auf, zu schweigen. Immer wenn in einer Pfarrgemeinde eine Anzahl Minderjähriger betroffen waren und der Skandal aufzufliegen drohte, versetzte ihn die Erzdiözese Denver in eine andere Pfarrei, in der ihn niemand kannte - 21 Jahre lang. Bevor der 2006 verstorbene Priester 1993 aus dem Amt entfernt wurde, hatte er offenbar mindestens 63 Kinder missbraucht.
Der Fall White ist das drastischste Beispiel im Untersuchungsbericht zu kirchlichem Missbrauch im US-Bundesstaat Colorado, den Generalstaatsanwalt Phil Weiser in Auftrag gegeben hatte. Die Kirche arbeitete mit den Behörden zusammen. Auf Basis von Material der drei Diözesen Denver, Colorado Springs und Pueblo hatte der ehemalige Bundesanwalt Bob Troyer über acht Monate einen Bericht zusammengetragen, dessen schockierende Ergebnisse auf ein gemischtes Echo stießen.
Missbrauchsvorwürfe gegen noch lebende Priester?
Die beste Nachricht aus Sicht der katholischen Kirche ist die Feststellung, dass es derzeit keine bekannten Missbrauchsvorwürfe gegen noch lebende Priester in den betreffenden Diözesen gibt. Doch dann kommt schon eine Einschränkung. "Wir wissen zwar von keinem Fall, aber wir wissen auch, dass wir nicht sichergehen können, dass es keinen gibt."
Mit Gewissheit sagen können die Ermittler dagegen, dass über die vergangenen 70 Jahre in den drei Diözesen Colorados mindestens 166 Kinder von 43 Priestern sexuell missbraucht worden sind. Generalstaatsanwalt Weiser nannte die Ergebnisse des 263 Seiten langen Untersuchungsberichts auf einer Pressekonferenz am Mittwoch "unvorstellbar". Besonders schmerzhaft sei, dass zahlreiche Missbrauchsopfer ihre Geschichte bekannt gemacht hätten, ohne dass ihnen Hilfe angeboten worden sei.
Kultur der Verschleierung
Laut Report war das jüngste Opfer ein fünfjähriges Mädchen, das von einem Priester missbraucht worden war. Ein Junge wurde 50 mal "ritualisiert" vergewaltigt. Zwei Opfer nahmen sich später das Leben. Die schockierend intimen Details des Berichts werfen die Frage auf, warum es im Schnitt 19,5 Jahre dauerte, ehe eine Diözese gegen die Beschuldigten vorging.
In mindestens einhundert Fällen seit 1950 hätte die Kirche Anzeige bei der Polizei erstatten können, tat es tatsächlich aber in weniger als zehn. Stattdessen hätten die Diözesen eine Kultur der Verschleierung gepflegt. Intern verharmlosten die Verantwortlichen das Geschehen und schleusten mutmaßliche Missbrauchspriester durch die Gemeinden.
"Gründlich und transparent"
Die katholischen Bischöfe von Colorado entschuldigten sich jetzt für das Versagen der Kirche und lobten den Bericht als "gründlich und transparent". Er werde die Ergebnisse "öffentlich machen und die Empfehlungen annehmen", versprach der Erzbischof von Denver, Samuel Joseph Aquila.
Der Bischof von Pueblo, Stephen Berg, entschuldigte sich "für die Schmerzen, die der Missbrauch verursacht hat und für jede Instanz, in der Kirchenführer versagt haben, das zu verhindern". Der Bischof von Colorado Springs, Michael Sheridan, zeigte sich zuversichtlich, dass die Kirche die Vorschläge des Berichts annehmen werde, um Minderjährige in Zukunft besser vor Missbrauch zu schützen.
Ausmaß des Missbrauchs
Die Opferhilfe-Organisation SNAP ("Survivors Network of those Abused by Priests") bezweifelte die Zahl der ermittelten Opfer und Täter. Exekutiv-Direktor Zach Hiner meinte, das Ausmaß des Missbrauchs könne größer sein als im Bericht ausgewiesen, da die Kirche seit 1950 gerade einmal zehn Täter benannt hatte. "Ich begrüße, dass der Generalstaatsanwalt die Tür offen gelassen hat für eine wirkliche Grand-Jury-Untersuchung", sagte Hiner.
Die Ermittlungen in sechs Diözesen Pennsylvanias hatten im August 2018 rund 1.000 Missbrauchsopfer und 300 Priester als Täter identifiziert. Seit den ersten Enthüllungen der Missbrauchskrise im Jahr 2002 in Boston hat die katholische Kirche in den USA drei Milliarden Dollar an Entschädigungen gezahlt.