Es war im Jahr 1964, als erstmals deutsche SPD-Granden dem Papst in Rom einen Besuch abstatteten. Im März reisten der damalige SPD-Vize Fritz Erler, der bayerische Sozialdemokrat Waldemar von Knoeringen sowie zwei SPD-Bundestagsabgeordnete in den Vatikan. Papst Paul VI. empfing sie gar in Privataudienz, wollte aber nicht, dass das Treffen fotografiert werde. Dieses hatten die Sozialdemokraten an den deutschen Bischöfen vorbei organisiert.
Als der Vatikan die anstehende Begegnung bekanntgab, schlug dies im deutschen Katholizismus wie eine Bombe ein. "Im selben Flugzeug, das die sozialdemokratische Delegation nach Rom brachte", so schreiben Robert Lorenz und Franz Walter in ihrem Buch "1964 - das Jahr, mit dem '68' begann", "flogen katholische Emissäre mit, die das Treffen mit dem Papst in letzter Minute verhindern sollten". Vergebens.
Drei Jahre später wurde der katholische SPD-Politiker Georg Leber ins Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) aufgenommen. Daraufhin suchten er und Wehner erneut, das sozialdemokratisch-katholische Verhältnis zu bessern. Mit mäßigem Erfolg.
"Es war mir von vornherein klar", zitierte der Spiegel im Februar 1969 einen nicht genannten Katholiken, "dass Sie die Chance, die Ihnen durch die Aufnahme Ihres Freundes und Kollegen Georg Leber in das Zentralkomitee der deutschen Katholiken geboten wurde, sofort für Ihre Parteiinteressen ausschlachten würden." Erneut wurde Wehner an seine anarchistisch-kommunistische Vergangenheit erinnert: "Ich bin auch Gott sei Dank alt genug, um zu wissen, aus welcher Schule Sie selber kommen und wes Geistes Kind Sie sind."
Protestant Wehner hatte etwas für die Kirchen übrig
Dabei hatte der Protestant Wehner, der eben wegen seiner Jugendvergangenheit im politischen Establishment den Ruf eines Schmuddelkindes nie ganz los wurde und als "größter Schimpfbold im ganzen Bundestag galt", durchaus etwas übrig für die Kirchen. Im Sommer 1964 bekannte er in der Hamburger evangelischen Hauptkirche Sankt Michaelis: "Meine Damen und Herren, liebe Brüder, (...) Ich kenne die Situation des Menschen, der versucht, ohne die Kirche zu leben. Er hält diese Spannung nicht aus."
Von daher war der Empfang Herbert Wehners bei Papst Paul VI. am 19. November 1969 nicht unbedingt eine General-Absolution. Aber die Audienz trug dazu bei, den Graben zwischen katholischer Kirche und Sozialdemokratie in Westdeutschland weiter zu schmälern.
So reiste Wehner vor 50 Jahren, von seinem katholischen Parteigenossen Georg Leber quasi als Pate begleitet, an den Tiber.
Westdeutsche und vatikanische Ostpolitik aufeinander abstimmen
Zunächst sprach man im Beisein des damaligen deutschen Botschafters beim Heiligen Stuhl, Hans Berger, mit dem Substituten des Staatssekretariats, Erzbischof Giovanni Benelli, sowie mit Bischof Agostino Casaroli. Der spätere Kardinalstaatssekretär Casaroli war zu dieser Zeit im Rat für öffentliche Angelegenheiten zuständig für Polen und andere Ostblock-Länder.
Anschließend empfing Paul VI. selbst die beiden deutschen Sozialdemokraten. Damaligen Medienberichten zufolge sprachen Wehner, Leber und der Papst über Entspannungsbemühungen der jungen sozial-liberalen Koalition. Im Einzelnen ging es um eine mögliche Akzeptanz der Oder-Neiße-Grenze und deren Folgen für eine Neuregelung von Bistumsgrenzen in Polen und Deutschland. Insgesamt galt es, westdeutsche und vatikanische Ostpolitik möglichst aufeinander abzustimmen. Berichten zufolge hatte Paul VI. sogar die Absicht, die DDR völkerrechtlich anzuerkennen, was auch die seit Oktober 1969 regierende sozial-liberale Koalition in Bonn verhindern wollte.
Schon vier Monate später, im März 1970, reiste Bundespostminister Leber zu Regierungsgesprächen nach Rom. Am 13. Juli dann wurde Bundeskanzler Willy Brandt von Paul VI. in Audienz empfangen. Auch die katholische Kirche in Deutschland wollte nun, anders als fünf Jahre zuvor, "die Normalisierung des Verhältnisses zur SPD konsolidieren, um zu gleichbleibend engen Kontakten mit allen Varianten von Regierungskoalitionen zu gelangen", so der Politikwissenschaftler Bastian Scholz.