DOMRADIO.DE: Auf Facebook kursieren Fotos von Kardinal Burke, wie er in der Slowakei eine Messe in der sogenannten Cappa Magna feiert - mit sechs Meter langer Schleppe, wallendem roten Umhang und begleitet von einem Baldachin, getragen von vier jungen Männern. Welchen historischen Hintergrund hat dieses Gewand?
Nersinger: Die Cappa Magna wurde von den Kardinälen in roter Farbe getragen, von den Bischöfen in violett. In den Wintermonaten konnte man den Schulterkragen mit Hermelin besetzen. Es ist ein Gewandstück, das aus dem Spätmittelalter kommt und sich eigentlich aus der Cappa Choralis, also aus der Chorkleidung, entwickelt hat.
DOMRADIO.DE: Die Hauptkritik daran ist, dass das Gewand etwas sehr Opulentes, etwas sehr Luxuriöses hat. Warum wird es heute noch verwendet?
Nersinger: Eigentlich sieht man es heute nur noch sehr selten. Und es soll auch von den Vorschriften her - den alten wie den neuen - sehr zurückhaltend eingesetzt werden. Es ist also kein Alltagsgewand und kein Gewand, das man zu jedem Pontifikalamt trägt. Sondern es ist ein Gewand, dessen man sich zu ganz besonderen hohen Festen - im Grunde zu Ausnahme-Festen - bedienen soll.
Die letzte Ausgabe des Zeremonienbuchs der Bischöfe aus den 1980er Jahren hat das Gewand zwar weiterhin erlaubt, aber sehr stark reglementiert. Zum Beispiel ist genau festgelegt, dass das Gewand keinen Hermelin-Besatz mehr haben darf, dass es bestimmte Vorschriften zu befolgen gibt.
DOMRADIO.DE: Wenn Papst Franziskus auf der anderen Seite in schwarzen Lederschuhen unterwegs ist, wenn er im Gästehaus wohnt, wenn er predigt, an die Ränder zu gehen, eine arme Kirche zu sein, wirkt das Gewand ja in der Tat ein wenig aus der Zeit gefallen.
Nersinger: Ja, natürlich. Wenn man sich die Person des Heiligen Vaters anschaut - dem gefällt das bestimmt nicht. Aber er ist auch jemand, der das an anderen durchaus noch zulässt. Bedenken Sie: Wenn sich der Papst mit den Kardinälen zu einem feierlichen Konsistorium im Vatikan trifft, trägt er eine schlichte weiße Soutane, und die Kardinäle sitzen dort in Chorkleidung, also im roten Talar und mit der roten Mozetta. Also, der Papst ist da in gewisser Weise auch tolerant. Er hat für sich selber festgestellt, dass das nicht seiner Intention und seiner Überzeugung entspricht. Aber er lässt seinen Leuten - um es mal salopp zu formulieren - durchaus gewisse Freiheiten.
DOMRADIO.DE: Vor allem in den sozialen Netzwerken gibt es immer wieder Kritik, wenn Kardinal Burke die Cappa Magna trägt. Was bringt es denn den Anwesenden beim Gottesdienst für den Glauben, wenn der Kardinal sich mit einem solchen opulenten, luxuriösen Gewand zeigt? Eigentlich sollte es in der Kirche doch eher um andere Werte gehen, oder?
Nersinger: Ja, natürlich. Das ist ja auch der Knackpunkt. Es sollte ja nur eingesetzt werden zu ganz besonderen Festen, wenn überhaupt. Und man muss es natürlich auch dann mit der richtigen Intention tragen, es muss in einer Tradition stehen. Es ist eigentlich kein provokantes Gewand, aber es ist durchaus ein Gewand, das auch in schwierigen Zeiten etwas ausdrücken kann.
Ich darf zum Beispiel an das Domjubiläum von 1948 erinnern. Das fand in einem völlig zerbombten Köln, in einer Stadt, in der die Bevölkerung durchaus noch an den Nachwirkungen des Zweiten Weltkrieges litt, statt. Und dann sieht man in dieser Prozession zum Jubiläum, die durch die Trümmer führt, Kardinäle und den päpstlichen Legaten in der Cappa Magna. Das hat damals niemanden gestört. Im Gegenteil, man hat das auch als ein Zeichen der Hoffnung empfunden - als einen Impuls, den Glauben und auch die Schönheit des Glaubens und mancher Insignien in einer sehr harten Zeit durchaus noch einmal herauszustellen. Man hat sich daran gefreut. Es gab so gut wie keine Kritik daran.
Ein anderes Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung - aus den 1980er Jahren in Österreich: Damals wurde die Cappa Magna in manchen Klöstern getragen. Im Stift Klosterneuburg trug der dortige Generalabt zum Beispiel auch die Cappa Magna. Er trug sie mit einer Selbstverständlichkeit - und er verband auch keine Ideologie damit. Denn Klosterneuburg war der Hort der volksliturgischen Bewegung und der damalige Generalabt war ein überzeugter Konzilsvater. Also, man kann so etwas einsetzen, aber man muss es dosiert und mit Natürlichkeit tun. Man kann so ein Gewand tragen, ohne dass es provozierend wirkt, ohne dass man direkt sieht: Das ist jemand, der sich wie ein Pfau aufführt. Das ist durchaus möglich.
DOMRADIO.DE: In diesem Zusammenhang darf man ja auch die politische Diskussion nicht ignorieren. Es geht hier um Kardinal Burke. Er ist einer von ganz wenigen Klerikern, die dieses Gewand wieder tragen. Er ist bekannt als Verfechter der Tradition, aber eben auch als Kritiker von Papst Franziskus. Sein Umgang mit Geldgeschenken wird kritisiert, seine Befürwortung der Todesstrafe. Sollte man das in Zusammenhang setzen mit dem liturgischen Gewand?
Nersinger: Das darf man eigentlich nicht. Ich muss ganz ehrlich bekennen: Wenn ich Bilder von Kardinal Burke in der Cappa Magna sehe und auch von dem Hofstaat, der sich dann um ihn herum bewegt, dann fällt mir als Rheinländer ein alter Kölner Karnevalsschlager ein: "Anna, ming Droppe" (Anm. d. Red.: "Anna, meine Tropfen"). Ich bin dann geneigt, ein Kreislaufmittel zu nehmen, weil mich das aufregt. Weil ich da etwas sehe, was nicht natürlich ist.
Erstens ist es so dermaßen provokant. Zweitens hält er sich nicht an die geltenden Regeln: Er trägt zum Beispiel auch eine Cappa Magna mit Hermelin. Um ihn herum sind Chargen, die ihn bedienen, die es eigentlich auch nicht mehr gibt. Man kleidet einen 13-Jährigen dann in das Gewand eines römischen Patriziers, der den Kardinalshut voranträgt. Das empfinde ich nicht mehr als natürliches Tragen eines alten, ehrwürdigen Gewandes, sondern das kann man eigentlich nur als Provokation empfinden. Und das macht mich doch sehr betroffen. Das finde ich nicht gut. Und man merkt, da steckt vielleicht auch etwas anderes hinter, was eigentlich das Gewand selber nicht ausdrücken will.
DOMRADIO.DE: Könnte man es nicht auch wie ein Theaterspiel betrachten, bei dem die Politik außen vor bleibt?
Nersinger: Das wäre normalerweise durchaus so zu akzeptieren. Aber ich denke, ein Theaterspiel folgt auch gewissen Regeln, gewissen Intentionen. So etwas darf sich dann nicht zu einer Schmierenkomödie entwickeln. Den Eindruck habe ich aber leider manchmal. Und das ist schade, weil dadurch erst einmal an ein altes Gewand, über das man natürlich diskutieren kann, doch entwertet wird.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.