"Es gibt Dinge, die viele für unmöglich halten. Eines davon ist die Normalisierung der Beziehungen zu Eritrea" - so fasste die Äthiopiens Präsidentin Sahle-Work Zewde das Verhältnis zum ostafrikanischen Nachbarland zusammen. Der junge Premier des Landes, Abiy Ahmed, hat das scheinbar Unmögliche geschafft. Dafür wird der 43-Jährige nun mit dem Friedensnobelpreis geehrt.
Friedensschluss zwischen Eritrea und Äthiopien
Familien, die über Jahrzehnte getrennt waren, fallen einander in die Arme. Telefonleitungen, die ebenso lange stillgelegt waren, senden erstmals wieder Signale. Nach Jahren der Blockade verkehren wieder Flugzeuge zwischen den Hauptstädten. Tatsächlich überraschte der Friedensschluss zwischen Eritrea und Äthiopien im vergangenen Jahr die ganze Welt. Möglich gemacht hatte diesen Schritt erst die Wahl Abiys zum Ministerpräsidenten Äthiopiens im April 2018.
Abiy wurde 1976 in die Volksgruppe der Oromo geboren, Äthiopiens größte Ethnie. "Von einem muslimischen Vater und einer christlichen Mutter erzogen, wurden ihm von klein auf die Werte von Toleranz und Verständigung über Grenzen hinweg mit auf den Weg gegeben", schreibt die Weltbildungsorganisation Unesco über den inzwischen weltweit bekannter gewordenen Mann.
Ahmed entließ Tausende politische Häftlinge
Als Jugendlicher trat Abiy dem Widerstand gegen das kommunistische Derg-Regime bei, dessen Militärdiktator Mengistu Haile Mariam das eigene Volk tyrannisierte. Später studierte Abiy Politik und Wirtschaft, mit einem Doktortitel in Friedens- und Sicherheitsforschung. Zum Regierungschef seines Landes wurde er durch den Rücktritt seines Vorgängers; ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als die Proteste in der und um die Hauptstadt Addis Abeba ihren Höhepunkt erreichten.
Bis vor kurzem gehörte Äthiopien der berüchtigten Liga von Afrikas repressiven Polizeistaaten an. Proteste wurden im Tränengas erstickt, Journalisten und Oppositionspolitiker verhaftet. Der Wandel kam mit Abiy Ahmed fast über Nacht. In seinem ersten Amtsmonat entließ er Tausende politische Häftlinge und startete Gespräche mit Kritikern. Er reformierte die Justiz, hob die Blockade von Websites auf und besetze die Hälfte seiner neuen Regierung mit Frauen.
Als größten Erfolg werten Beobachter freilich den Friedensschluss mit Eritrea. In dem erbitterten Grenzkrieg starben zwischen 1998 und 2000 mehr als 80.000 Menschen. Vor einem Jahr versammelten sich erneut Tausende Soldaten entlang des Grenzzauns. Diesmal waren die Uniformierten jedoch stille Beobachter, als die Grenze nach 20 Jahren erstmals wieder geöffnet wurde.
Vielvölkerstaat als größte Aufgabe
Allerdings stößt Äthiopiens politischer Neuanfang auch auf Hindernisse. Innerstaatliche Konflikte sind in Afrikas zweitgrößter Nation auf dem Vormarsch. Semir Yusuf, Politologe am Institut für Sicherheitsstudien (ISS) in Addis Abeba, führt dies auf einen zunehmenden "ethnischen Nationalismus" zurück. Der Einfluss von Staat und Regierungspartei werde schwächer.
So sprach sich im November Äthiopiens fünftgrößte Ethnie, das Sidama-Volk, in einem Referendum für einen eigenen Regionalstaat aus, wie ihn andere Volksgruppen bereits haben. Experten sind sich einig: Abiys größte Aufgabe besteht in den kommenden Jahren darin, Äthiopien als Vielvölkerstaat zusammenzuhalten.
Bischof Ghebremedhin: Arbeitsplätze für die Jugend
Auch die grassierende Jugendarbeitslosigkeit habe die jüngsten Unruhen angeheizt, meint der katholische Bischof Markos Ghebremedhin. Mehr als die Hälfte der 110 Millionen Äthiopier seien Jugendliche. "Leider ist die Regierung nicht in der Lage, Arbeitsplätze für so viele junge Menschen zu schaffen", so der Bischof.
Die Konflikte führen zu einem weiteren Problem: Nach UN-Angaben wurden 2018 mindestens 1,5 Millionen Äthiopier neu vertrieben, der Großteil davon im eigenen Land. Damit hat Äthiopien von allen Staaten weltweit die höchste Zahl an Binnenvertriebenen. Menschenrechtler kritisieren Abiys Regierung immer wieder für eine fehlende Unterstützung der Geflohenen.
Die Politikforscher des ISS sehen Abiy vor "einer Vielzahl einschüchternder Herausforderungen". Allerdings, erinnern sie, habe der junge Regierungschef in einem Jahr bereits mehr erreicht als viele afrikanische Anführer in Jahrzehnten. Sein Status als Friedensnobelpreisträger sollte daher als "Inspiration" dienen.