Friedensnobelpreis für Äthiopiens Ministerpräsidenten Ahmed

Der Reformer vom Horn von Afrika

Der Friedensnobelpreis geht in diesem Jahr an den äthiopischen Ministerpräsidenten Abiy Ahmed. Er wird für seinen Einsatz zur Lösung des Grenzkonflikts zwischen Eritrea und Äthiopien ausgezeichnet.

Der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed erhält den Friedensnobelpreis / ©  Francisco Seco (dpa)
Der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed erhält den Friedensnobelpreis / © Francisco Seco ( dpa )

Wie das Norwegische Nobelkomitee am heutigen Freitag in Oslo mitteilte, vergibt es den Friedensnobelpreis an den äthiopischen Ministerpräsidenten Abiy Ahmed, weil es ihm gelungen ist, den 20 Jahre dauernden Streit zwischen den Ländern offiziell zu beenden. Im Juli 2018 unterzeichneten Äthiopien und Eritrea einen Friedensvertrag.

Radikaler Reformweg

Abiy Ahmed überrascht gerne. Wie kaum ein anderer Politiker hat der 43-Jährige am krisengebeutelten Horn von Afrika einen radikalen neuen Weg eingeschlagen. Sein Heimatland Äthiopien hat der Regierungschef nach Jahren der repressiven Regierungsführung mit Reformen aufgerüttelt. Er startete einen Friedensprozess mit Eritrea, dessen Auswirkungen in der ganzen Region zu spüren sind. Und dem Sudan hat er zu einem politischen Wandel verholfen, der wohl in die Geschichtsbücher eingehen wird.

Zwar muss sich die Wirkung vieler seiner Taten noch zeigen - noch ist nachhaltiger Frieden und Stabilität in der Region Zukunftsmusik. Doch die Auszeichnung mit dem Friedensnobelpreis ist womöglich auch ein Signal: Weiter so.

In enger Kooperation mit dem eritreischen Präsidenten Isaias Afwerk habe Abiy Ahmed rasch die Leitlinien für das Friedensabkommen erarbeitet. Die Kompromissbereitschaft des äthiopischen Regierungschefs habe auf dem Weg zum Durchbruch eine maßgebliche Rolle gespielt. Zudem habe sich Abiy auch in anderen Regionen Afrikas für Frieden und Versöhnung eingesetzt, lobte das Nobelkomitee.

Äthiopien bis April 2018 repressiv regiert

Als Abiy im April 2018 in Äthiopien an die Macht kam, rechneten die wenigsten mit einem Umbruch. Der Vielvölkerstaat wurde jahrelang mit harter Hand geführt, die Macht wurde von einer einzigen ethnischen Minderheit dominiert. Oppositionsarbeit und Pressefreiheit waren eingeschränkt. Demonstrationen von Gruppen, die sich marginalisiert fühlten, wurden mit der ganzen Gewalt des Staates unterdrückt.

Der junge Politiker sollte die Gemüter im Land beruhigen. Doch Abiy hatte andere Pläne. In Windeseile setzte er eine Reform nach der anderen durch und brach dabei etliche Tabus: Er ließ politische Gefangene frei, beendete einen Ausnahmezustand, strich Oppositionsgruppen von der Terrorliste und liberalisierte die Wirtschaft.

Verfeindete Ethnien und Religionen in der eigenen Familie

Versöhnung wurde Abiy bereits in die Wiege gelegt. Am 15. August 1976 wurde er in Beshasha, einer Kleinstadt im Zentrum des Landes geboren. Sein Vater: Ahmed Ali, ein Muslim aus der größten Ethnie, der Oromo, im Land. Die Mutter: Tezeta Wolde, orthodoxe Christin und Amharin, mithin Angehörige der zweitgrößten Volksgruppe. Wenn Abiy sagt, dass er verfeindete Ethnien und Religionsgruppen einen will, dann weiß er, wovon er spricht.

Dass Abiy das Horn von Afrika umwälzen würde, ist seinem Lebenslauf nicht unbedingt zu entnehmen. Er diente bei den Streitkräften und war unter anderem Teil der UN-Friedensmission in Ruanda. Später gründete er mit anderen einen Cyber-Nachrichtendienst. Daraufhin machte er eine steile Karriere in der Demokratischen Organisation des Oromovolkes (OPDO), die der regierenden Koalitionspartei angehört.

Rufname "Revolution"

Dass der dreizehnte Sohn seines Vaters als Kind "Abiyot" gerufen wurde, Revolution, schien eine Ironie der Geschichte. Doch acht Jahre später - Kriegsheld Zenawi war gestorben und sein glückloser Nachfolger Hailemariam Desalegn abgetreten - schaffte Abiy überraschend den Sprung ins wichtigste Staatsamt. Dabei hatte bis zum Schluss niemand für möglich gehalten, dass das seit 1991 regierende EPRDF-Bündnis sich für einen Oromo an der Regierungsspitze entscheiden würde.

Doch Abiy traute der Partei mehrheitlich zu, die seit fast drei Jahren tobenden Unruhen in seiner Heimatregion zu beenden. Kurzfristig schien dies zu gelingen: Vor allem die jungen Äthiopier feierten ihn. Abiys Konterfei ist im ganzen Land auf Wänden, Bussen, T-Shirts zu sehen.

Sein wohl größter Schachzug aber war der Friedensschluss mit Äthiopiens bitterem Rivalen Eritrea. Dies war zuvor fast undenkbar: Die beiden Staaten führten von 1998 bis 2000 einen blutigen Grenzkrieg und blieben danach verfeindet. Das repressiv geführte Eritrea schottete sich von der Außenwelt ab. Aus dem "Nordkorea Afrikas" flohen Hunderttausende Menschen, viele auch nach Deutschland.

Überraschender Schachzug

Aus heiterem Himmel verkündete Abiy dann im Sommer 2018, er würde mit Eritrea bedingungslos Frieden schließen. Seitdem haben die Staaten zwar wenig Fortschritt gemacht: Kaum Gespräche wurden geführt, große Streitpunkte sind noch immer offen. Doch die Symbolkraft des Friedensschlusses in den Ländern und der Region war enorm. Das Nobelkomitee wies besonders auf diese Initiative Abiys hin, die ihm die Auszeichnung einbringe.

Abiy gilt als Hoffnungsträger für ganz Afrika. Doch sein Versöhnungskurs ist zunehmend umstritten. Inzwischen ist die anfängliche Euphorie Ernüchterung gewichen, auch wegen der wachsenden Gewalt im Land. Die Furcht wächst, dass statt Frieden Bürgerkrieg die Folge sein könnte. Die zunehmende Gewalt in dem Vielvölkerstaat richtet sich auch gegen den Regierungschef.

Probleme durch Reformen

Der 43-Jährige hat in seiner Heimat mit seinem Reformkurs neue Probleme geschaffen. Indem er seine Kontrolle über die Sicherheitsorgane lockerte, seien in "vielen Teilen des Landes die Sicherheit, Recht und Ordnung zusammengebrochen", sagt Felix Horne von Human Rights Watch. Spannungen und Konflikte sind unter Abiy stark angestiegen. Nach Angaben des UN-Nothilfebüros (OCHA) waren 2018 fast 3,2 Millionen Menschen innerhalb der Landesgrenzen auf der Flucht, fast doppelt so viele wie im Jahr davor. Diesen Herausforderungen wird sich Abiy nun weiter stellen müssen - mit der Kraft der wichtigsten politischen Auszeichnung der Welt im Rücken.

Über den Erfolg von Abiys Reformkurs wird wohl auch das Schicksal der jungen Menschen auf dem Land entscheiden. Zwei Drittel der Gesamtbevölkerung sind unter 25, mindestens 30 Millionen sollen ohne Job sein. Der Rest arbeitet oft als Tagelöhner auf den Feldern oder im informellen Sektor der Städte, trotz überwiegend guter Ausbildung. Wenn es ihnen nicht bald deutlich besser geht, dürfte die Abiy-Mania bald vorbei sein. Versöhnung alleine macht nicht satt.

Wichtiger Player in der Region

"Er ist ein Reformer, der viele Türen öffnet", sagt Annette Weber von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Er nutzte sein Gewicht in der Region, um dem Sudan nach dem Putsch zu einem Weg aus der politischen Krise zu verhelfen. Nach dem Sturz von Präsident Omar al-Baschir im April stand das Land an einem Scheideweg. Ein Chaos-Szenario wie gar in Syrien war nicht auszuschließen. Doch mit Hilfe von Abiy und seinem Entsandten Mahmoud Dirir wurde von Militärs und Zivilisten eine Einheitsregierung gebildet, die nun auf einen historischen Wandel zur Demokratie hoffen lässt. "Äthiopiens Rolle bei den Verhandlungen war wahnsinnig wichtig", sagt Weber. "Ohne wäre es nie so schnell zu einer Einigung gekommen."

Deutschland begrüßt Auszeichnung

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) reagierte am heutigen Freitag erfreut auf die Nachricht aus Oslo: Abiy sei "eine wirklich herausragende Führungspersönlichkeit", sagte er. "Sein Mut und seine Weitsicht sind Beispiel und Vorbild weit über Afrika hinaus." Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier äußerte sich ähnlich. Deutschland werde den Weg in Richtung Frieden und Demokratie, den Äthiopien jetzt gehe, weiter nach Kräften unterstützen, versicherte er.

Doch Abiys radikaler Umbruch ist noch unfertig. Viele seiner eingeleiteten Reformen wurden nicht weitergeführt oder umgesetzt - allen voran der Frieden mit Eritrea. Auch die politische Lage im Sudan ist weiterhin ein Drahtseilakt. Um dort nachhaltige Stabilität zu schaffen, muss Abiy am Ball bleiben. Auch die Vorsitzende des Nobelkomitees, Berit Reiss-Andersen, machte bei der Bekanntgabe am Freitag in Oslo klar, dass es noch eine Menge zu tun gebe.

 

Papst Franziskus empfängt den äthiopischen Ministerpräsidenten Abiy Ahmed im Januar 2019 / © Paul Haring (KNA)
Papst Franziskus empfängt den äthiopischen Ministerpräsidenten Abiy Ahmed im Januar 2019 / © Paul Haring ( KNA )

 

Flüchtlinge in Äthiopien / © Kay Nietfeld (dpa)
Flüchtlinge in Äthiopien / © Kay Nietfeld ( dpa )
Quelle:
dpa , epd , KNA
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