Landgericht Gießen bestätigt Verurteilung von Ärztin Hänel

Richter kritisieren zugleich reformierten Paragrafen 219a

Es kommt selten vor, dass ein Gericht einen Strafrechtsparagrafen als "nicht gelungen" und "widersprüchlich" einstuft, aber dennoch eine Angeklagte danach verurteilt. So geschah dies am Donnerstag im Fall Hänel.

Autor/in:
Norbert Demuth
Paragraf 219a: Bundesregierung einigt sich auf Kompromiss  / © Silas Stein (dpa)
Paragraf 219a: Bundesregierung einigt sich auf Kompromiss / © Silas Stein ( dpa )

Es ist der prominente "Pilotfall", auf dessen Ausgang bundesweit Mediziner gewartet haben, die Abtreibungen vornehmen: Im Strafprozess gegen die Ärztin Kristina Hänel hat das Landgericht Gießen in der erneuten Berufungsverhandlung die Verurteilung der Angeklagten wegen verbotener Werbung für Abtreibungen bestätigt. Zugleich reduzierte das Gericht in seinem Urteil am Donnerstag die ausgesprochene Geldstrafe von 6.000 Euro auf 2.500 Euro.

Möglichkeit in Revision zu gehen

Das Gericht folgte damit weitgehend dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Die Verteidigung hatte dafür plädiert, das Verfahren auszusetzen und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorzulegen. Hänel kann nun noch Revision beim Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt einlegen. Falls sie auch dort scheitere, wolle sie vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, kündigte sie nach dem Urteilsspruch an.

Hänel musste sich erneut wegen des Vorwurfs der verbotenen Werbung für Abtreibungen verantworten, der in Paragraf 219a des Strafgesetzbuches (StGB) geregelt ist. Die Neuverhandlung wurde erforderlich, nachdem das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt im Sommer 2019 das im Oktober 2018 ergangene Urteil des Landgerichts Gießen aufgehoben hatte. Dieses hatte eine - vom Amtsgericht Gießen ausgesprochene - Verurteilung Hänels zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro wegen Verstoßes gegen Paragraf 219a bestätigt. Das OLG Frankfurt befand, es lasse sich nicht ausschließen, dass die seit Ende März 2019 geltende Neufassung des Strafrechtsparagrafen zu einer für die Angeklagte günstigeren Bewertung führe.

Keine normale ärztliche Dienstleistung

Die Strafnorm untersagt das Anbieten, Ankündigen oder Anpreisen von Schwangerschaftsabbrüchen aus finanziellem Vorteil heraus oder wenn dies in grob anstößiger Weise geschieht. Damit soll gewährleistet werden, dass ein Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit nicht wie eine normale ärztliche Dienstleistung dargestellt wird.

Die 63-jährige Gießener Allgemeinmedizinerin Hänel hatte auf der Internetseite ihrer Praxis darauf hingewiesen, auch Schwangerschaftsabbrüche anzubieten und dabei ein PDF-Dokument verlinkt, das auch Informationen zu den Methoden des "medikamentösen" oder "chirurgischen" Abbruchs enthielt. Auch aktuell verfährt sie auf diese Weise. "Ich habe nicht vor, diese Infos von meiner Homepage zu nehmen", betonte sie in der Verhandlung am Donnerstag. Menschen, die sich einem Schwangerschaftsabbruch unterzögen, müssten das Recht haben, sich über die Methoden und Risiken des Eingriffs ausführlich zu informieren. Hänel war 2015 von Abtreibungsgegnern angezeigt worden.

Bei der nach einer monatelangen politischen Debatte im Februar 2019 beschlossenen Reform der Strafnorm wurde der Paragraf 219a gelockert. Ärzte dürfen demnach "auf die Tatsache hinweisen", dass sie Abtreibungen vornehmen, aber weiterhin nicht darauf, welche Methoden sie anwenden. Die katholische Kirche hatte sich in der Debatte für die Beibehaltung des Werbeverbots für Abtreibungen ausgesprochen. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) sprach nach der Einigung der Parteien von einem "tragfähigen Kompromiss".

Landgericht: Strafrechtsparagrafen als "nicht gelungen" 

Die Vorsitzende Richterin am Landgericht, Regine Enders-Kunze, kritisierte am Donnerstag bei der Urteilsverkündung die Neufassung des Paragrafen 219a dagegen scharf. Die "im Schnellstrick-Verfahren" beschlossene Norm sei vom Wortlaut her "widersprüchlich" und "nicht gelungen". Es sei auch fraglich, ob die Neufassung verfassungsgemäß sei. Das Landgericht sei aber aus rechtlichen Gründen nicht befugt, die Sache direkt dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Trotz rechtlicher Bedenken bestätigte das Landgericht die Verurteilung Hänels auf Basis des umstrittenen Paragrafen 219a und betonte, dass Strafgerichte "dem Gesetz unterworfen" seien. Zugleich setzte das Landgericht die Geldstrafe "auf den untersten möglichen Rahmen" herab, so die Richterin.

Hänel, die für eine völlige Streichung des 219a eintritt - ebenso wie Dutzende Demonstranten vor dem Gerichtsgebäude - nannte die Norm eine "absurde" Regelung, die Ärzten keine Rechtssicherheit biete. Ihr Verteidiger Karlheinz Merkel sagte: "Wir bauen darauf, dass das OLG Frankfurt die Sache dem Bundesverfassungsgericht vorlegt." Es sei höchste Zeit für eine Grundsatzentscheidung. Derzeit liefen bundesweit über 100 Ermittlungsverfahren, die "von Fundamentalisten in irrationaler Weise" angestrengt worden seien. Merkel kritisierte den "Verfolgungsdruck" gegen Ärzte, die Abtreibungen vornähmen. Hänel selbst sagte, sie habe "auch Drohmails und Todesdrohungen bekommen".


Quelle:
KNA