Die Kommentare in einigen Medien klangen dramatisch. Von einer "allerletzten Chance" schrieb etwa der "Münchner Merkur". Die Bischöfe müssten endlich "Farbe bekennen", forderten katholische Laien. Für die katholische Kirche in Deutschland dürfte 2019 eine historische Zäsur bedeutet.
Zwar liegt die Aufdeckung des Missbrauchsskandals schon zehn Jahre zurück. Doch die im September 2018 veröffentlichte Studie "Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz" (MHG-Studie) löste eine solche Schockwelle aus, dass für die katholische Kirche 2019 ein "Weiter so" keine Möglichkeit mehr war.
"Die alte Zeit ist zu Ende", schrieb Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck im Januar an die Katholiken im Bistum Essen. Inzwischen dächten selbst jene Menschen an Kirchenaustritt, die sich das bislang nie hätten vorstellen können. Overbeck mahnte eine Diskussion über Priesterbild und Weiheamt, Hierarchie, Zölibat, Frauenamt und Sexualmoral an.
Genau diese Themen bestimmen den Synodalen Weg, auf den sich die Bischöfe im März bei ihrer Vollversammlung in Lingen einigten, um Vertrauen zurückzugewinnen und systemische Ursachen für Missbrauch zu identifizieren. Partner beim Synodalen Weg ist das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK).
"Auf Augenhöhe" wollen die Laien mit den Bischöfen beraten. Die Zulassung von Frauen zum Diakonat wäre nur ein erster notwendiger Schritt für eine glaubwürdige Kirche, beschrieb ZdK-Vizepräsidentin Claudia Lücking-Michel eine Zielvorgabe.
Zwischen Rom und Bonn wurde aber erst einmal darum gerungen, welche Entscheidungsbefugnisse der kirchenrechtlich nicht definierte Synodale Weg überhaupt hat. Papst Franziskus verfasste Ende Juni einen "Brief an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland", in dem er Bedenken ebenso äußerte wie Ermutigungen. Eindeutiger war im September ein Brief der Bischofskongregation, der die Deutschen klar vor einer Überschreitung ihrer Kompetenzen warnte. Die Warnschüsse aus Rom entschärfte der Bischofskonferenz-Vorsitzende Marx daraufhin durch stille Diplomatie und geschmeidige Anpassungen der synodalen Satzung.
Sorge um drohende Spaltung
Dass aber selbst die freimütigsten Gespräche am Ende kein eigenes deutsches Kirchenrecht mit Frauenweihe und verheirateten Priestern hervorbringen kann, betonen auch die reformwilligsten Bischöfe immer wieder. Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode brachte die Möglichkeit einer vatikanischen Bischofssynode für Westeuropa als Ausweg ins Spiel, die ähnlich wie die Amazonas-Synode im Oktober 2019 weitreichende Reform-Empfehlungen aussprechen könnte.
Wie groß Empörung und Veränderungswillen im Kirchenvolk sind, zeigte sich seit Mai bei den Aktionen von "Maria 2.0": Fünf Frauen der Gemeinde Heilig Kreuz in Münster riefen zu einem lokalen "Kirchenstreik" gegen die Alleinherrschaft der Männer in der Kirche auf. Eine Woche kein Gotteshaus betreten und keine ehrenamtlichen Dienste verrichten: Aus der Aktion entwickelte sich eine bundesweite Protestwelle. Ein Selbstläufer. Und das, obwohl sich die Bischofskonferenz im März eine Quote für Frauen in Führungspositionen verordnet hatte. In den kommenden vier Jahren soll der Anteil von Frauen auf der Leitungsebene der Bistümer auf mindestens ein Drittel steigen. Die Zielvorgabe soll 2023 überprüft werden.
Zu einem hoch brisanten Thema entwickelte sich die Entschädigung von Missbrauchsopfern. Im September schlug eine Arbeitsgruppe unter Beteiligung von Kirchenvertretern und Opfern zwei sehr teure Modelle vor: eine Pauschale von 300.000 Euro pro Opfer (ohne Überprüfung der Fälle) oder ein abgestuftes Verfahren, bei dem je nach Schwere zwischen 40.000 und 400.000 Euro gezahlt werden. Das sorgte für Proteste nicht nur bei ärmeren Bistümern und Orden. Kritiker sprachen von bundesweit bislang nie gezahlten Summen, die das gesamte System der Opferentschädigung aus dem Gleichgewicht bringen könnten.
Schnell entzündete sich auch eine Debatte daran, woher das Geld kommen soll. Der Trierer Bischof Stephan Ackermann betonte, es müssten auch Kirchensteuermitteln verwandt werden; die Kirchenmitglieder seien als Solidargemeinschaft in der Pflicht - eine These, die Empörung auslöste. Jesuitenpater Klaus Mertes etwa warnte, dass "das gesamte Kirchenvolk in Mithaftung genommen wird für das Leitungsversagen weniger".
Austrittswelle
Ob die im Sommer veröffentlichte Statistik zu den Kirchenaustritten des Vorjahres schon eine erste Reaktion auf die Missbrauchsstudie enthält, lässt sich nicht feststellen. 216.078 Menschen kehrten der katholischen Kirche 2018 den Rücken, 29 Prozent mehr als 2017. Im Laufe von 2019 dürfte die Austrittswelle weiter angeschwollen sein.
Finanziell ging es der Kirche weiterhin prächtig. Die katholische Kirche verzeichnete 2018 mit 6,6 Milliarden Euro einen neuen Rekord bei der Kirchensteuer. Als Hauptgrund sehen Fachleute die gute Konjunktur und die Entwicklung der Löhne und Einkommen.
Personell tat sich 2019 auf Ebene der Bischöfe wenig: Im März wurde der neue Fuldaer Bischofs Michael Gerber in sein Amt eingeführt. Im Juli verabschiedete sich der Augsburger Bischof Konrad Zdarsa. Viele Oberhirten sind derzeit mit der Zusammenlegung von Pfarreien beschäftigt. Viele Blicke richteten sich dabei auf das Bistum Trier: Ende November setzte der Vatikan die Umsetzung der dortigen Reform wegen kirchenrechtlicher Bedenken vorerst aus.
Veränderungsdruck wurde erneut bei den katholischen Medien deutlich: Im Mai wurde bekannt, dass die Zeitungen der Bistümer Fulda, Mainz und Limburg nur noch bis Ende 2023 erscheinen. Die Auflage ist massiv eingebrochen. Später kündigten das Passauer Bistumsblatt und der Altöttinger Liebfrauenbote aus dem gleichen Grund eine schrittweise Fusion an. Zu einem wegweisenden Beschluss rang sich auch das ZdK durch: Es zieht 2022 von Bonn nach Berlin. Präsident Thomas Sternberg erhofft sich eine bessere politische, mediale und gesellschaftliche Präsenz.
Politisch nahm die Kirche vor allem zu ethischen Fragen wie Organspende, Schwangerschaftsuntersuchungen und Beihilfe zum Suizid Stellung. Bischöfe und Laien betonten dabei mit einer Stimme, dass eine Organspende weiter von der ausdrücklichen Zustimmung des potenziellen Spenders abhängig sein soll. Ähnlich einheitlich zeigten sich die Katholiken beim Nein zu vorgeburtlichen Bluttests als generelle Kassenleistung.
Mit Blick auf die AfD, die in mehreren Parlamenten weiter vorrückte, äußerten sich katholische Bischöfe und Evangelische Kirche vor der Europawahl: Zwar tauchten die Kürzel "AfD" oder "Pegida" im Gemeinsamen Wort zur Demokratie nicht auf. Doch kritisierten die Kirchen, dass der Zuzug der Flüchtlinge zu einer merklichen Abkühlung des gesellschaftlichen Klimas und zu einer Verschärfung politischer Auseinandersetzungen geführt habe. Es bleibe Verpflichtung der Kirchen, benachteiligten und ausgegrenzten Menschen zu helfen.