DOMRADIO.DE: Was unterscheidet denn Ihre Arbeit von der eines Sportkommentators im Radio?
Philipp Dienberg (Blindenreporter Awo Passgenau): Beim Handball ist es tatsächlich noch etwas komplizierter, weil es eine sehr schnelle Sportart ist. Es unterscheidet sich letztlich dadurch, dass Blindenreporter viel mehr beschreiben müssen, was unten - auf dem Parkett in dem Fall - passiert. Also mit welcher Hand möglicherweise gedribbelt wird, wo der Ball ins Tor geht, also „Gänsheimer mit dem rechten Arm rechts unten rein“.
Das sind Beschreibungen, die im Radio wahrscheinlich eher nicht fallen würden, weil man da mehr über Emotion kommt und das Tor - sage ich mal - beschreit. Da ist ein Blindenreporter viel mehr gefordert, viel mehr zu verorten und zu beschreiben.
DOMRADIO.DE: Also ist es eigentlich eine doppelte Aufgabe: Kommentieren und beschreiben, was man sonst sehen würde.
Dienberg: Genau, und das ist auch ein bisschen der Anspruch. Natürlich will ein Blindenreporter auch über die Emotionen kommen, die Fans und die Zuhörer mitreißen. Aber mit dem Zusatz, viel mehr zu beschreiben als ein Radioreporter.
DOMRADIO.DE: Wie sind Sie zu dem Beruf gekommen?
Dienberg: Ich bin aus Düsseldorf, beziehungsweise bin ich dort zugezogen, und wollte mir ein Fußballspiel anschauen. Ich bin großer Fußballfan und dachte mir „Komm, geh mal ins Stadion“. Auf der Internetseite war die Blindenreportage ausgeschrieben, da wurde ein Reporter gesucht. Ich selbst habe ein bisschen Radio-Background und habe immer schon Fußballspiele kommentiert. Also dachte ich „Ach, das ist ja vielleicht was für mich, das höre ich mir mal an“.
Und so kam ich vor sechs Jahren dazu. Ich bin bei Fortuna Düsseldorf ehrenamtlich, aber auch die Kollegen vom 1. FC hier in Köln machen das großartig. In der ersten und zweiten Fußballbundesliga ist das flächendeckend vorhanden und es ist eine richtig gute Sache. Ich kann es jedem empfehlen, der da mal ein bisschen rein schnuppern möchte. Einfach fragen, ob man sich das mal mit anhören kann. Es ist eine riesige Erfahrung.
DOMRADIO.DE: Aber das kann man wahrscheinlich nicht von heute auf morgen. Da muss man ja erst mal lernen, was man beachten muss, oder?
Dienberg: Genau. Es ist – wie bei so vielem – „Learning by Doing“. Es gibt da keine Ausbildung für, es könnte also jeder versuchen, sich als Blindenreporter auszuprobieren. Das ist aber nicht Sinn der Sache. Es gibt letztendlich Teams, das machen die Vereine alle autark für sich selbst. Da machen die einen richtig guten Job.
DOMRADIO.DE: Was überrascht Sie an dem Job? Was hätten Sie vorher nicht gedacht?
Dienberg: Ich bin da wirklich ganz „blauäugig“ rangegangen, weil ich mir gesagt habe, dass ich das jetzt einfach probiere, ich traue mir das zu. Letztendlich war natürlich die Beschreibung und die Intensität, diese Schnelligkeit, die ganze Zeit am Ball zu sein, alles zu verorten – das war überraschend, weil man viel schneller ist und viel mehr redet.
Das hat mir aber auch dann tatsächlich für den Job im Radio geholfen. Wenn jetzt mal irgendwas ist und man beschreibt zwei bis drei Minuten, die man am Stück reden muss, und dann heißt es „Füll mir bitte live nochmal fünf Minuten“ – dann ist es jetzt für mich so, dass ich sage „Gut, mache ich“ – ich kann ja das beschreiben, was ich sehe.
DOMRADIO.DE: Das Projekt, für das Sie arbeiten nennt sich „T_OHR“ und ist vom Verein Passgenau e.V., der wiederum was mit der Arbeiterwohlfahrt zu tun hat. Können Sie kurz erklären, wie das alles zusammenhängt?
Dienberg: Awo Passgenau ist ein Verein der Arbeiterwohlfahrt. Und T_OHR ist ein Projekt, das über drei Jahre läuft seit 2018. Mein Kollege und ich sind da zu zweit hauptamtlich aktiv und sind beide ehrenamtlich noch Blindenreporter. Diese Expertise aus dem Fußball wollen wir ein bisschen rausfiltern und in andere Sportarten bringen, damit das Thema Blindenreportage einfach noch viel bekannter wird, um da noch mehr Teilhabe für Blinde und Seheingeschränkte zu ermöglichen.
Da sind wir immer wieder bei großen und kleinen Events vor Ort, sorgen für die Blindenreportage und sind teilweise bei Blindenreisen mit aktiv. Da beschreiben wir, wo wir herlaufen, bei Stadtführungen und so weiter. Da ist ein riesiges Spektrum gegeben und da wollen wir deutschlandweit für mehr Teilhabe sorgen.
DOMRADIO.DE: Handball haben sie schon erwähnt, da muss man es anders machen, weil es sehr viel kleinteiliger ist. Wie sieht es in den anderen Sportarten aus? Worauf muss man da achten?
Dienberg: Letztlich sage ich immer, dass man alles beschreiben kann. Wenn es Basketball ist und ich bin in einer Basketballhalle, dann kann ich auch beschreiben, wer wie dribbelt, wo der Ball auf welcher Seite ist. Wir haben zum Beispiel auch bei der Rollstuhlbasketball-WM in Hamburg letztes Jahr eine Blindenreportage eingerichtet.
Das war natürlich auch wieder ein neues Feld, aber man kann genau beschreiben mit welcher Hand am Rollstuhl nochmal angefasst wird, wie Rollstühle tatsächlich ein Stück weit ineinander krachen. Das war auch super spannend, weil es wirklich im sportlichen Sinne zu dramatischen Szenen kommt, und natürlich zu schön geworfenen Körben. Da kann man immer alles feinteilig beschreiben.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.