Debatte über Organspende: Was darf der Staat verlangen?

Zweifel am Vorbild Spanien

Darf der Staat die Bürger stärker zur Organspende verpflichten? Das ist ein heikles ethisches Thema, über das der Bundestag am Donnerstag entscheiden wird. Die Kirchen haben sich klar positioniert.

Organspendeausweis / © Axel Heimken (dpa)
Organspendeausweis / © Axel Heimken ( dpa )

Auf der einen Seite der Waage: mehr als 9.400 sterbenskranke Patienten in Deutschland, die auf ein neues Organ warten und um ihr Leben bangen. Auf der anderen Seite: das Recht jedes Menschen auf Selbstbestimmung - auch über den eigenen Körper. Schon seit den Anfängen der Transplantationsmedizin wird darüber diskutiert, ob es eine Pflicht zur Organspende gibt und wer potenzieller Organspender ist. Ethischer Sprengstoff.

Als der Bundestag 1997 nach heftigen Debatten ein erstes Gesetz zur Transplantationsmedizin verabschiedete, entschieden sich die Abgeordneten für Zurückhaltung und Vorsicht: Nur derjenige ist ein potenzieller Organspender, der zu Lebzeiten ausdrücklich zugestimmt hat. Ersatzweise können auch die Angehörigen zustimmen - nach dem mutmaßlichen Willen des möglichen Spenders. Lässt der sich nicht ermitteln, haben sie selber auch Einspruchsmöglichkeiten.

"Erweiterte Zustimmungslösung"

Dieses Modell der "erweiterten Zustimmungslösung" ist in den vergangenen Jahren zunehmend unter Druck geraten. Denn die Zahl der Organspender in Deutschland ging beständig zurück und erreichte 2017 mit 797 Spendern einen Tiefpunkt. Dennoch hält der von einer überfraktionellen Parlamentariergruppe um Grünen-Chefin Annalena Baerbock vorgelegte Gesetzentwurf an der Notwendigkeit der ausdrücklichen Zustimmung fest. Sie setzt auf verbindliche, regelmäßige Informationen - etwa, wenn sie beispielsweise einen Personalausweis beantragen.

Die Alternative ist eine stärkere Verpflichtung der Bürger zur Organspende. Rund 20 europäische Staaten haben eine sogenannte Widerspruchslösung eingeführt. Jeder Bürger, der nicht ausdrücklich widerspricht, ist ein potenzieller Organspender. Darunter vor allem die, die sich mit dem Thema nicht auseinander gesetzt oder einfach keinen Organspenderausweis ausgefüllt haben. Schweigen bedeutet Zustimmung.

"Darf uns nicht gleichgültig sein"

Befürworter argumentieren, das Leid der Patienten rechtfertige eine stärkere Verpflichtung der Bürger. Wenn es die Chance gebe, Leben zu retten, "darf uns das nicht gleichgültig sein", so Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Der Katholik hat mit anderen Abgeordneten einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt, der am Donnerstag ebenfalls zur Abstimmung steht. Es gebe keinen Zwang zur Spende, sondern nur den Zwang, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Als leuchtendes Beispiel für die Widerspruchsregelung wird immer wieder Spanien angeführt: Das Land ist mit einer Quote von 46,9 Spendern auf eine Million Einwohner Weltmeister bei Organspendern. In Deutschland liegt die Rate bei 11,5 Spendern. Allerdings: Der Vergleich hinkt. Für den Staatsrechtler Wolfram Höfling ist Spanien keinesfalls ein Vorbild. Er weist darauf hin, dass dort auch bei Patienten mit Herztod Organe entnommen werden. "Das ist in Deutschland verboten." Hier gilt der Hirntod als entscheidende Barriere für eine mögliche Organspende.

Widerspruchsregelung und hohe Spenderzahl

Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz weist direkte Zusammenhänge zwischen Widerspruchsregelung und hohen Spenderzahlen zurück. In Spanien etwa sei die Zahl der Spender erst nach einer Neuorganisation der Transplantationsmedizin in den 1990er Jahren stark angestiegen. "Die Widerspruchsregelung gibt es dort aber bereits seit 1979." Aus diesem Grund hat der Bundestag 2019 ein Gesetz verabschiedet, das die Abläufe bei Transplantationen in den Kliniken verbessert und die Mediziner besser honoriert.

Dreh- und Angelpunkt der Debatte aber ist die Frage der Autonomie der Bürger: Spahn räumt ein, dass eine Widerspruchslösung "einen nicht geringen Eingriff des Staates in die Freiheit des Einzelnen bedeuten" würde. Gegner der Widerspruchslösung betonen, dass in Deutschland jeder kleinste medizinische Eingriff der Zustimmung des Patienten bedürfe - und das solle ausgerechnet bei der ethischen Grenzsituation der Organspende nicht gelten?

Klar positioniert haben sich auch die Kirchen: Sie verstehen Organspende als Ausdruck von Nächstenliebe. Eine "Spende" setze immer Freiwilligkeit voraus. Ansonsten müsse man von einer "Organabgabepflicht" sprechen.


Quelle:
KNA