Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat angeordnet, dass Myanmar die muslimische Minderheit der Rohingya vor einem Völkermord schützen muss. Das südostasiatische Land müsse alles in seiner Macht Stehende tun, um die Gräueltaten gegen die Rohingya zu beenden und weitere Verbrechen zu verhindern, erklärten die Richter am Donnerstag. Per einstweiliger Verfügung wurden Myanmar "vorläufige Maßnahmen" auferlegt.
Menschenrechtsorganisationen begrüßten den Richterspruch als Meilenstein für den Schutz der Rohingya. Von der Regierung Myanmars gab es zunächst keine offizielle Reaktion. Ein Sprecher der Regierungspartei "Nationale Liga für Demokratie" erklärte lediglich, der Gerichtsentscheid komme nicht überraschend. Man müsse abwägen, welche Konsequenzen dar Urteil habe, zitierte ihn das Magazin "Frontier Myanmar".
Keine Gewalttaten mehr verüben
Nach dem einstimmigen Richterspruch muss das Militär in Myanmar für alle Sicherheitskräfte sicherstellen, dass keine Gewalttaten verübt werden, die gegen die UN-Völkermordkonvention von 1948 verstoßen. Myanmar soll zudem gewährleisten, dass keine Beweise vernichtet werden, die Völkermord-Verbrechen belegen könnten. Binnen vier Monaten soll Myanmar dem Gericht einen Bericht über die ergriffenen Maßnahmen vorlegen. Danach soll alle sechs Monate berichtet werden.
Die Anordnungen des höchsten Gerichts der Vereinten Nationen sind für alle UN-Mitglieder bindend. Ob die Verfolgung der Rohingya als Völkermord zu werten ist, hat das Gericht noch nicht entschieden. Bis zur Hauptverhandlung kann es Monate oder Jahre dauern.
Das Urteil erging aufgrund einer Völkermord-Klage gegen Myanmar, die das westafrikanische Gambia im November im Namen der "Organisation für Islamische Zusammenarbeit" eingereicht hat. Die Klage stützt sich im wesentlichen auf einen UN-Bericht, in dem Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit an den Rohingya beklagt werden.
Aung San Suu Kyi gilt als mitverantwortlich
Mit dem Urteil vom Donnerstag wächst der internationale politische Druck auf Regierung und Militär in Myanmar. Wegen einer brutalen Militäroffensive Ende August 2017 waren mehr als 740.000 Rohingya ins benachbarte Bangladesch geflohen. Die Flüchtlinge beklagten Morde, Vergewaltigungen und Brandstiftungen. Die zivile Regierung unter Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi gilt als mitverantwortlich. Bei den Anhörungen des Gerichts im Dezember hatte Suu Kyi an die Richter appelliert, die Klage abzuweisen.
Menschenrechtler werteten das Urteil als wichtiges Signal: Damit werde den Verantwortlichen in Myanmar gezeigt, dass die Welt die Gewalt nicht toleriere, erklärte Amnesty International. Ähnlich äußerte sich "Human Rights Watch": "Die Anordnung des Internationalen Gerichtshofs ist ein Meilenstein, um weitere Gräueltaten gegen eine der am stärksten verfolgten Volksgruppen der Welt zu stoppen", sagte die Vize-Direktorin für Internationale Justiz, Param-Preet Singh.
Suu Kyi bat in einem kurz vor Urteilsverkündung veröffentlichten Gastskommentar darum, Myanmar Zeit zu geben, um den Berichten über die Gewalt nachzugehen. Die internationale Ächtung habe sich negativ auf die Bemühungen ausgewirkt, dem Rakhine-Staat Stabilität und Fortschritt zu bringen, kritisierte sie in der Zeitung "Financial Times".
Regierungsmitgliedern und Militärs in Myanmar drohen indes weitere Verfahren wegen der Verfolgung der Rohingya. Denn auch der Internationale Strafgerichtshof (ebenfalls in Den Haag) nahm im November Ermittlungen auf. Er ist zuständig bei Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen.
Von Nicola Glass