DOMRADIO.DE: Was erfahren wir denn in der Bibel über die Ehe?
Prof. Dr. Julia Knop (Professorin für Dogmatik an der Universität Erfurt): Die Bibel liefert keine Zeit übergreifenden Definitionen von der Ehe. Sondern wir lesen, wie gläubige Menschen gelebt und geglaubt haben. Viele waren natürlich verheiratet – in den Formen ihrer Zeit und Kultur. Abraham und Sara zum Beispiel, die erst spät Eltern eines gemeinsamen Sohnes wurden, oder Jakob, der mit den beiden Schwestern Lea und Rachel verheiratet war und mit Sklavinnen weitere Kinder hatte. Die Apostel waren mit Ausnahme von Maria Magdalena wahrscheinlich alle verheiratet. Während sie Jesus begleitet haben, waren ihre Familien auf sich gestellt.
Jesus selbst hat sich kaum zur Ehe geäußert, eher sogar ehe- und familienkritische Töne angeschlagen: Der Glaube könne Familienbande zerbrechen lassen. Und er hat von neuen Verwandten gesprochen, mit denen man Überzeugungen teilt und nicht den Genpool. Wo Jesus sich zur mosaischen Scheidungsgesetzgebung geäußert hat, tat er das zugunsten der Frauen, die bei Scheidung stark benachteiligt waren. Er hat selbst keine neuen Gesetze aufgestellt, sondern geltende Regeln seiner Zeit an ihrem ursprünglichen Sinn gemessen.
DOMRADIO.DE: Und wie kam es dann dazu, dass die Ehe in der katholischen Kirche ein Sakrament wurde?
Knop: Es war ein langer Prozess. Über viele Jahrhunderte war die Ehe eine Familienangelegenheit. Erst nach und nach übernahm die Kirche liturgische und – wie wir heute sagen würden – zivilrechtliche Funktionen. Sie hat zunächst Paare nach deren Heirat gesegnet und irgendwann auch ihr Eheversprechen dokumentiert. In die Reihe der sieben Sakramente, die im Hochmittelalter entsteht – vorher war der Sakramentsbegriff viel offener –, gehört die Ehe erst seit dem zwölften Jahrhundert. Dass sie nicht so recht in das dann gängige sakramententheologische Raster passt, war übrigens von Anfang an klar und wurde auch thematisiert.
DOMRADIO.DE: Unser modernes Familienbild ist geprägt von den Entwicklungen des 19. Jahrhunderts. Dass Liebe zur Ehe dazugehört, war vorher nicht unbedingt notwendig. Was verstand man denn früher unter Familie?
Knop: Wir haben heute tatsächlich immer noch die bürgerliche Kleinfamilie als Norm im Kopf: Vater, Mutter, Kind, ein Zwei-Generationen-Haushalt aus verheirateten Eltern und gemeinsamen Kindern. Dieses romantische Ideal von Ehe und Familie entsteht erst im 19. Jahrhundert; massenwirksam wird es in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts. Vorher war es meistens anders und heute ja auch. Zuvor war die Familie größer, weniger emotional und auch weniger verwandt. Die, die in einem „Haus“ zusammenlebten – Verwandte und Angestellte, eheliche und uneheliche Kinder – bildeten eine „Familie“. Und man hat im Normalfall auch nicht aus Liebe geheiratet, sondern aus wirtschaftlichen Gründen – zumindest, wenn man sich das leisten konnte. Viele blieben ehelos – nicht um des Himmelreiches willen, sondern, weil sie gar keine andere Möglichkeit hatten.
DOMRADIO.DE: Heute können ja auch gleichgeschlechtliche Partnerinnen und Partner heiraten. Für die Kirche ist diese Art der Ehe und Familie ein Unding. Was sagen Sie als Dogmatikerin dazu?
Knop: Also, dass „die“ Kirche gleichgeschlechtliche Ehen und Partnerschaften für ein Unding hält, kann man so nicht sagen. Es gibt sehr viele Katholiken, die das nicht für ein Unding halten. Die sind ja nicht weniger Kirche. Und viele schwule und lesbische Paare sind katholisch. Manche bitten um einen Segen über ihre Partnerschaft und bekommen ihn häufig auch. Aber es stimmt natürlich: Der katholische Katechismus – andere Konfessionen haben ihre Morallehre mit der Zeit weiterentwickelt – macht immer noch aus einem theologisch überholten und diskriminierenden Verständnis von Homosexualität eine Glaubenssache. Da gibt es, meine ich, einen erheblichen Reformstau. Viele katholische Theologen – Bibelwissenschaftler, Dogmatiker, Moraltheologen, Liturgiewissenschaftler – und mittlerweile auch einige Bischöfe in Deutschland fordern hier aus guten Gründen ein Umdenken.
DOMRADIO.DE: Das andere große Thema ist natürlich die Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene. Wie sieht es denn damit aus?
Knop: Papst Franziskus hat einmal gesagt, die Sakramente seien keine Belohnung für die Vollkommenen, sondern Kraftquelle für die Schwachen. Das ist wichtig, denn das Leben ist selten eindeutig, und wenn es eindeutig scheint, kann es recht lieblos sein. Es geht bei der Frage nach der Kommunion für Geschiedene, die wieder geheiratet haben, nicht darum, Fünfe gerade sein zu lassen oder ein Auge zuzudrücken. Sakramententheologisch sollte man anders ansetzen. Die Frage, über die wir nachdenken sollten, ist, was es theologisch bedeutet, dass natürlich auch eine sakramental geschlossene Ehe scheitern kann und viele Geschiedene in einer neuen Partnerschaft ihr Glück suchen und auch finden.
Alle christlichen Konfessionen treten für die Unauflöslichkeit der Ehe ein. Aber im Unterschied zur katholischen Kirche machen die anderen Konfessionen daraus keine Ontologie. Sie haben andere Konzepte entwickelt. Die Orthodoxen beispielsweise sagen, dass eine Ehe, die nicht mehr mit Leben gedeckt ist, kirchlich geschieden werden kann, sogar sollte. Die Altkatholiken, die uns im Verständnis von Kirche und Sakramenten ja sehr verwandt sind, sehen das ähnlich. Sie können denken, dass das Ehesakrament enden kann, bevor der Tod die Eheleute scheidet. Wir müssen auch auf römisch-katholischer Seite weiterdenken. Theologische Konzepte brauchen einen Anhaltspunkt im Leben; es reicht nicht, sie gegen alle Erfahrung einfach zu behaupten.
DOMRADIO.DE: Im Schlusskapitel Ihres Buches verurteilen Sie eine "dogmatische Aufrüstung" und "antiökumenische Profilbildung". Welche Empfehlungen haben Sie denn, die auch theologisch sattelfest sind, wenn es um Beziehungs- und Geschlechterfragen geht?
Knop: Die Konflikte, die wir im Moment nicht nur in der katholischen Kirche austragen – um Homosexualität, um Geschlechtergerechtigkeit, um Sexualität, Ehe und Familie – sind meines Erachtens eher kulturelle und politische Konflikte als religiöse. Es geht letztlich um Modernisierungsprozesse, darum, ob man im 21. Jahrhundert ankommen will oder ob man sich im Affront gegen die zeitgenössische Gesellschaft aufstellen will.
Gut katholisch wäre es, im engen Austausch mit dem Leben, den Kulturen, den Wissenschaften daranzusetzen, auch das traditionelle katholische Verständnis von Sexualität, Ehe und Familie weiterzuentwickeln. Das ist dem Katholizismus nicht fremd – wir tragen kirchlich jede Menge Zeitgeistiges mit uns, das bisweilen ganz unhistorisch als ewige Wahrheit verkauft wird. Aber wenn eine Gemeinschaft kein lernendes System ist, erstarrt und implodiert sie irgendwann.
Ich meine, wenn wir heute sinnvoll und verständlich über Liebe reden wollen, dann müssen wir zuerst über menschliche Beziehungen reden, nicht über Biologie. Wir müssen zuerst über Freiheit, über Vertrauen und Bindung reden und nicht über Fortpflanzung. Und wir sollten, wenn es um Geschlechterfragen geht, nichts in die Natur hineinlesen, was im Leben von Frauen und Männern nicht gedeckt ist.
DOMRADIO.DE: Im Vorwort und ganz am Schluss zitieren Sie ja auch aus dem nachsynodalen Schreiben "Amoris Laetitia" von Papst Franziskus. Welche Impulse gibt das päpstliche Schreiben denn für Ehe, Partnerschaft und Familie?
Knop: Es sind vor allem zwei Punkte: Franziskus fängt nicht bei der Darlegung von Idealen, Recht oder Moral an. Sondern er schaut zuerst darauf, was das wirkliche Leben von Männern und Frauen auszeichnet: Es ist bunt, vielfältig, uneindeutig, immer in Entwicklung. Angesichts dessen fragt er, was Aufgabe von Glaube und Kirche sein kann. Seine Antwort: Nicht kontrollieren, nicht moralisieren, nicht verurteilen, sondern begleiten, trösten und neue Wege eröffnen. Das zweite: Er erinnert die katholische Tradition an die Würde des menschlichen Gewissens. Das Gewissen des Einzelnen ist im Wortsinn die entscheidende Instanz. Auch, wenn es um Partnerschaft, Ehe und Familie geht.
Das Gespräch führte Martin Bornemeier.