Caritas zieht Bilanz der Obdachlosenzählung in Berlin

"Wir brauchen ein Grundrecht auf Wohnen"

1976 Obdachlose sind bei einer bundesweit ersten Zählung in Berlin erfasst worden. Caritasdirektorin Ulrike Kostka sieht die Zählung als ersten Schritt, um bessere Hilfsangebote zu entwickeln - und fordert ein ein Grundrecht auf Wohnen.

Obdachloser vor dem Brandenburger Tor / © Theo Duijkers (shutterstock)
Obdachloser vor dem Brandenburger Tor / © Theo Duijkers ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Wie haben Sie denn diese Zählung durchgeführt?

Ulrike Kostka (Direktorin des Caritasverbandes für das Erzbistum Berlin): Wir haben in einem Team gezählt. Wir waren mit mehreren unterwegs und hatten einen ganz festen Bereich, den wir mit einem Fragebogen abgegangen sind. Ich selbst habe in einem Außenbezirk gezählt. Dort haben wir niemanden getroffen.

DOMRADIO.DE: 1.976 Obdachlose wurden gezählt - weniger als erwartet, aber sicherlich immer noch viel zu viele?

Kostka: Auf jeden Fall. Es ist natürlich eine hohe Zahl. Aber wir wissen, dass die Dunkelziffer noch viel, viel höher ist. Wir gehen davon aus, dass mindestens doppelt oder dreimal so viele Menschen in Berlin in der Obdachlosigkeit sind.

Es ist natürlich auch so, dass sich viele Menschen in Kleingärten zurückziehen oder in irgendwelche Nischen. Sie wollen nicht gesehen werden. Viele sind auch psychisch krank. Deswegen kann man bei einer solchen Zählung gar nicht alle erfassen. Aber es war ein wichtiger Schritt.

DOMRADIO.DE: Die Zählung hat nachts stattgefunden. Wie haben sie denn gewährleistet, dass Sie die Obdachlosen nicht stören?

Ulrike Kostka: Es war so, dass ausdrücklich ein Kodex vereinbart war, zu dem sich alle verpflichten mussten. Dazu gehörte auch, dass man zum Beispiel Menschen nicht weckt. Daran haben sich auch alle gehalten. Ich habe insgesamt gehört, dass viele obdachlose Menschen zurückgemeldet haben, dass sehr respektvoll mit ihnen umgegangen worden ist.

DOMRADIO.DE: Was passiert jetzt mit dem Wissen um die Zahlen?

Ulrike Kostka: Die Zahlen sind ein wichtiges Indiz - zum Beispiel auch, um zu schauen: Wieviele Männer und Frauen sind gezählt worden? Aus welchen Ländern kommen sie? Sind sie zu zweit oder alleine unterwegs? Die Zahlen sind aber wirklich nur ein erster Baustein. Das nächste wird sein, dass man sie diskutiert und dass man auch den nächsten Schritt geht.

Wir brauchen nämlich dringend eine umfangreiche Wohnungsnotfall-Statistik. Dafür war diese Straßenzählung ein erster Schritt. Das andere ist, dass wir natürlich noch einmal ausführlich über die Hilfsangebote reden werden. Denn es zeigt sich schon: Man braucht wahrscheinlich noch differenziertere Hilfsangebote. Denn manche Menschen gehen nicht in Notunterkünfte, weil sie zum Beispiel ihren Hund nicht mitnehmen können oder weil sie alkoholisiert sind.

DOMRADIO.DE: Was sollte die Politik Ihrer Ansicht nach jetzt unternehmen? Es kann ja auch nicht alles an Hilfsorganisationen hängenbleiben.

Kostka: Das Allerwichtigste ist natürlich zunächst, dass die Kommunen überall in Deutschland der Pflicht zur Unterbringung nachkommen. Das heißt, jeder, der untergebracht werden möchte, muss auch eine Unterkunft erhalten. Das ist in Berlin zum Glück die Regel - nicht in allen Bezirken, aber doch mehr oder weniger flächendeckend. In Deutschland ist das aber nicht überall so.

Das andere ist, dass natürlich der Wohnungsbau gefördert werden muss: Wir brauchen dringend mehr Wohnungen. Das ist ein ganz entscheidender Schlüssel. Mit mehr Wohnungen könnten wir auch viel Elend verhindern - deswegen müssen alle Kräfte da hingehen. Ich fordere auch ein Grundrecht auf Wohnen ein. Ich glaube, das Recht auf Wohnen brauchen wir auch im Grundgesetz, damit es besser geschützt wird. 

Das Interview führte Dagmar Peters.


Ulrike Kostka / © Markus Nowak (KNA)
Ulrike Kostka / © Markus Nowak ( KNA )
Quelle:
DR
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