Neues Konzept soll Pflege zu Hause einfacher machen

Westerfellhaus: Bürokratie-Dschungel soll gelichtet werden

Familien sind der größte Pflegedienst Deutschlands. 1,8 Millionen Menschen werden von Angehörigen versorgt. Doch die Hilfen der Pflegeversicherung werden oft nicht abgerufen. Jetzt soll Bürokratie abgebaut werden.

Autor/in:
von Christoph Arens
Eine Schneise in den Behördendschungel schlagen / © Transport Stockphoto (shutterstock)
Eine Schneise in den Behördendschungel schlagen / © Transport Stockphoto ( shutterstock )

Sachleistungen, Pflegegeld, Verhinderungspflege und Kurzzeitpflege... Die 1,8 Millionen Menschen in Deutschland, die zu Hause gepflegt werden, erhalten zahlreiche Hilfsangebote. Doch viele blicken nicht mehr durch. Willkommen im Pflegedschungel.

Bis zu 20 unterschiedliche Anträge

"Pflegebedürftige haben eine Vielzahl teilweise kleiner, kombinierbarer oder sich gegenseitig ausschließender Leistungsansprüche", analysiert der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, in einem veröffentlichten Diskussionspapier. Es gebe bis zu 20 unterschiedliche Anträge. Ein bürokratischer Dickicht.

Leistungen würden deshalb oftmals nicht abgerufen, fügt der Staatssekretär hinzu. "Gerade die Angehörigen leisten viel und sind immer häufiger überfordert. Im schlimmsten Fall werden sie selbst krank." Viele seien kurz davor, aus der Pflege ihrer Angehörigen auszusteigen.

Leistungen den Lebensumständen der Menschen anpassen

Westerfellhaus will den Wirrwarr auflösen. "Die Leistungen der Pflegeversicherung müssen selbstbestimmt und flexibel genutzt werden können und sich den Lebensumständen der Menschen anpassen - nicht umgekehrt", betont der Pflegeexperte. Dazu gehöre auch, dass alle Leistungserbringer ihre Dienste direkt mit der Pflegekasse abrechnen. "Pflege-Ko­Piloten" sollen pflegebedürftige Menschen bei regelmäßigen Besuchen zu Hause vertrauensvoll und unabhängig beraten und sie an die bestehenden regionalen Beratungsstrukturen verweisen.

Zwei Budgets: Pflege und Entlastung

Geht es nach Westerfellhaus, sollen Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen in Zukunft für die häusliche Pflege zwei Geldtöpfe zur Verfügung stehen: ein Pflegebudget und ein Entlastungsbudget. Das Pflegebudget soll sich am Pflegegrad orientieren und monatlich zur Verfügung stehen. Pflegebedürftige können es ganz oder anteilig für Leistungen der ambulanten Pflege­ und Betreuungsdienste sowie für bestimmte Pflegehilfsmittel nutzen. Nicht ausgeschöpfte Beträge werden laut Konzept automatisch zu 50 Prozent ausbezahlt. Der Betrag umfasst die bisherigen Pflegesachleistungen beziehungsweise das Pflegegeld. Zusätzlich fließen der Entlastungsbetrag von 125 Euro, die 40 Euro für Pflegehilfsmittel und ein Teil des für die Verhinderungspflege zur Verfügung stehenden Betrags in das Budget.

Das Entlastungsbudget sichert die Pflege, wenn Angehörige abwesend sind. Seine Höhe hängt ebenfalls vom Pflegegrad ab und steht je Quartal zur Verfügung. Es soll flexibel für Tages­ und Nachtpflege sowie für bis zu zwölf Wochen vorübergehende vollstationäre Pflege pro Jahr (bisher Kurzzeitpflege oder Verhinderungspflege) eingesetzt werden können. Dabei soll es zum Beispiel möglich sein, nicht verbrauchte Beträge des Vorquartals zu nutzen.

In konkreten Zahlen bedeutet das nach den Berechnungen des Pflegebevollmächtigten: Im Pflegegrad 3 stehen ein Pflegebudget in einer Größenordnung von 1.500 Euro im Monat und ein Entlastungsbudget von 4.600 Euro im Quartal zur Verfügung. Im Pflegegrad 5 beläuft sich das monatliche Pflegebudget auf 2.200 Euro und das Entlastungsbudget auf 6.650 Euro im Quartal.

Schritt in die richtige Richtung

Vertreter von Parteien und Verbänden begrüßten die Initiative des Pflegebevollmächtigten als Schritt in die richtige Richtung. Die Angehörigen seien der größte Pflegedienst Deutschlands und müssten entlastet werden, erklärte beispielsweise Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz.

Aus Sicht von Patientenschützern, Wohlfahrtsverbänden, Vdk, Linken und Grünen hat die Sache aber einen Haken: Ein Lichten des Bürokratie-Dickichts nutze nichts, wenn Angebote zur Entlastung fehlten. Insbesondere bei der Kurzzeitpflege sehen sie eine riesige Lücke. "Menschen nach Krankenhausaufenthalt, die noch nicht zu Hause versorgt werden können, suchen oft händeringend einen Kurzzeitpflegeplatz und finden kein Angebot im näheren Umkreis", erklärt beispielsweise Gerhard Timm von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege. Vor dem gleichen Problem stünden pflegende Angehörige, die wegen Erschöpfung eine Auszeit brauchten.

Viele spezialisierte Anbieter von Kurzzeitpflegeplätzen hätten in letzter Zeit aufgeben, weil sie die hohen Defizite nicht länger tragen konnten.


Quelle:
KNA
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