Eine kirchenrechtliche Einordnung.
KNA: Wie bewerten Sie als Kirchenrechtler das Schreiben zur Amazonas-Synode?
Prof. Norbert Lüdecke (Bonner Kirchenrechtler): Mit welcher Eindeutigkeit der Papst die Umweltverschmutzung und die wirtschaftliche Ausbeutung der Amazonas-Region benennt sowie Verbrechen gegen die indigene Bevölkerung verurteilt, ist für ein Lehrschreiben äußerst ungewöhnlich und sehr bemerkenswert. Wer sich aber Hoffnungen auf eine Reform innerhalb der Kirche gemacht hat, dürfte durch das Schreiben massiv enttäuscht worden sein.
KNA: Die Teilnehmer der Synode in Rom hatten sich mehrheitlich für eine stärkere Rolle von Frauen und die Zulassung verheirateter Männer zur Priesterweihe ausgesprochen. So steht es im Schlussdokument der Synode. In seinem nun veröffentlichten Schreiben legt der Papst ausdrücklich nahe, dieses Schlussdokument genau zu studieren. Ist das bloß ein Lektüre-Tipp oder setzt er die dort enthaltenen Voten in Kraft?
Lüdecke: In seinem nachsynodalen Schreiben fasst der Papst das zusammen, was ihm wesentlich erscheint. Die Akzente sind regional, also auf die Amazonas-Region bezogen, und haben einen sozialethischen Schwerpunkt. Ansätze zur Reform im Kirchenverständnis gibt es nicht.
Tatsächlich verweist er auf das Schlussdokument. Aber die Bischofssynode hat keinerlei Verbindlichkeit. Sie gibt lediglich einen Ratschlag. Was daraus zu machen ist, entscheidet allein der Papst. Ein Nebeneinander beider Papiere vermag ich kirchenrechtlich nicht zu erkennen.
KNA: Also kein Interpretationsspielraum für mögliche Reformen?
Lüdecke: Das Papstschreiben geht im Verständnis von Kirche, vom Amt und dem Verhältnis der Geschlechter nicht ein Jota über die klassische Lehre und das geltende Kirchenrecht hinaus.
KNA: Das bedeutet...
Lüdecke: ...unter anderem, dass das Priesteramt zentral ist. Nur der Priester repräsentiert Christus. Er wird zwar als Diener bezeichnet, aber er ist den Laien übergeordnet. Wer etwas anderes behauptet, liegt falsch.
KNA: Was ist mit einer stärkeren Teilhabe von Laien am kirchlichen Leben?
Lüdecke: Auch da bleibt das Schreiben kirchenrechtlich im Rahmen dessen, was schon vorher möglich war. Wo Kleriker einen Bedarf sehen, Laien, die sie für geeignet halten, als Helfer hinzuzuziehen, können sie das tun, sofern diese Funktionen für Nicht-Geweihte offen ist. Das können Sie als "Partizipation" aufblasen, aber dann ist letztlich auch das Anzünden von Kerzen vor dem Gottesdienst ein Akt von Teilhabe.
KNA: Wie steht es um die Rolle der Frau?
Lüdecke: Im Papstschreiben heißt es dazu: "Die Frauen leisten ihren Beitrag zur Kirche auf ihre eigene Weise und indem sie die Kraft und Zärtlichkeit der Mutter Maria weitergeben." Dafür verdienen sie Wertschätzung. Aber wenn das Lehramt aufgrund des von ihm behaupteten besonderen Geistbeistands zu wissen meint, dass Gott niemals Priesterinnen und Bischöfinnen will, sie also in der Kirche niemals verbindlich lehren oder Gesetze erlassen können, dann bleibt ihnen die Weihe verwehrt.
KNA: Mit Gleichstellung hat das nicht viel zu tun.
Lüdecke: Das sind unterschiedliche Kategorien. In einem modernen Staat verletzt fehlende Gleichberechtigung die Würde der Person. Im Denken der Kirche dagegen gibt es die gleiche Würde ohne gleiche Rechte. Das Lehramt bestimmt die Geschlechteridentität und folgert daraus auch die soziale Rolle.
KNA: Der Synodale Weg, den deutsche Bischöfe und Laien zur Erneuerung des kirchlichen Lebens beschritten haben, spricht von einem gleichberechtigten Dialog. Ist so etwas unter den von Ihnen geschilderten Umständen überhaupt möglich?
Lüdecke: Nein.
KNA: Aber ist es nicht so, dass durch die Taufe alle Katholiken die gleiche Würde haben?
Lüdecke: Das schon. In Geschlecht und Weihe gründet jedoch ihre ontologische und rechtliche Ungleichheit. In einer solchen hierarchischen Gemeinschaft kann es Augenhöhe zwischen Amtsträgern und Laien, zwischen Hirten und Schafen, nicht geben - auch wenn die Schafe in noch so großer Zahl zugegen sind. Und wenn Dialog eine Kommunikation auf Augenhöhe, also unter Gleichberechtigten, meint, dann kann er zwischen Klerikern und Laien nicht stattfinden.
KNA: Welche konkreten Ergebnisse sind als Resultate des Synodalen Wegs kirchenrechtlich denkbar?
Lüdecke: Änderungen sind nur dort möglich, wo etwas lehramtlich nicht als göttliches Recht und damit als unabänderbar deklariert ist. Priestermangel begegnet man amtlich etwa, indem man die Größe der Gemeinden ausdehnt oder Laien mit zusätzlichen Aufgaben betraut, sofern sie nicht an den Wesenskern des Priesteramtes rühren. Wenn eine Mehrheit der Bischöfe eine Weihe von Frauen zu Diakoninnen für wünschenswert hielte, dann hätten sie schon lange nach Rom gehen können, um eine Sondererlaubnis, ein Indult, zu erbitten. Für das alles braucht es den Synodalen Weg nicht.
KNA: Welchen Zweck hat dann noch diese Initiative?
Lüdecke: Die Bischöfe haben festgestellt, dass sie ihre Glaubwürdigkeit aufgrund des Missbrauchsskandals verloren haben. Das war 2010 auch schon der Fall - aber offenbar sind sie erst mit der jüngsten Untersuchung, der MHG-Studie von 2018, zu dieser Erkenntnis gelangt. Unter dem Eindruck haben sie mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken den Synodalen Weg gestartet. Nach meiner Wahrnehmung rückt das Thema Missbrauch bedauerlicherweise in den Hintergrund. Stattdessen geht es jetzt um ganz andere Dinge.
KNA: Sehen Sie die Chance, dass es bis Herbst 2021 zu verbindlichen Beschlüssen kommt?
Lüdecke: Das halte ich für Augenwischerei. Das Wort "verbindlich" taucht bezeichnenderweise in der Satzung des Synodalen Weges an keiner Stelle auf. Für die Bischöfe erzeugen mögliche Beschlüsse keine rechtliche Verbindlichkeit. Entschieden wird auf Konzilien, und zwar von Bischöfen. "Synodalität" ist in der katholischen Welt weit überwiegend nur ein anderes Wort für "Beratung". Und nicht mehr.
Das Interview führte Joachim Heinz.