DOMRADIO.DE: Es gibt Theologen, die warfen Papst Franziskus offen Häresie vor. Im Internet wird er lächerlich gemacht, Priester beten für seinen Tod, ein ehemaliger Nuntius forderte sogar seinen Rücktritt: Wurde je ein Papst so respektlos behandelt?
Marco Politi (Journalist und Vatikanexperte): Nein, es gab zwar viel Polemik gegen Johannes Paul II. und Benedikt XVI., aber so eine aggressive Eskalation und Versuche, den Papst zu delegitimieren, so viele Attacken vonseiten des Klerus' und der Bischöfe, das hat es in den letzten hundert Jahren so nicht so gegeben.
Allerdings muss man bei der Kritik an ihm differenzieren: In der katholischen Kirche mit ihren 1,3 Milliarden Mitgliedern gibt es eine große Vielfalt. Es gibt Bischöfe, die offen für soziale Fragen sind, aber Homosexualität ablehnen. Andere sind mit der Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene einverstanden aber gegen das Diakonat der Frau. Aber es gibt eben auch einen harten Kern, die sind grundsätzlich gegen Franziskus, denn sie fürchten eine Aufweichung von Prinzipien, an denen sie schon ihr ganzes Leben festhalten.
DOMRADIO.DE: Ist es nicht paradox, dass ausgerechnet Papst Franziskus, der Nächstenliebe und eine barmherzige Kirche predigt, so viel Hass entgegenschlägt?
Politi: Ja, aber es ist auch verständlich, denn Franziskus verunsichert Leute, die an der Tradition festhalten und sich keine andere Kirche vorstellen können. Er ist ein Papst, der aufräumt mit der Jahrhunderte alten Sex-Besessenheit der Kirche. Wir diskutierten jetzt nicht mehr über die Pille, voreheliche Beziehungen oder geschiedene Wiederverheiratete.
Oder sein Gottesbild: Er spricht von einem Gott der Barmherzigkeit, der nicht oberster Richter ist sondern Vater aller Menschen, nicht nur der Christen, sondern auch der Muslime, Juden oder Atheisten. Das ist revolutionär, aber es verstört auch Teile der Kirche.
DOMRADIO.DE: Sie schreiben in Ihrem neuen Buch „Das Franziskus-Komplott“ von einem regelrechten „Bürgerkrieg“ in der katholischen Kirche, der Papst sei von Gegnern umzingelt. Ist das eine kleine, laute Minderheit?
Politi: Nein, das wurde lange von den Franziskus-Anhängern kolportiert, dass das Wenige sind, die viel Krach machen. Aber es ist nicht so. Wenn ich an die beiden letzten Synoden denke, schätze ich, es gibt einen harten Kern von 30 Prozent. Und dann gibt es die lautlose Mitte, die mit einigen Reformen einverstanden ist, aber vor allem Angst hat. Sie können sich keine andere Kirche vorstellen, in der es natürlich viel schwieriger sein wird, Zeugnis abzulegen. Und deswegen sind das die lautlosen Bremser.
DOMRADIO.DE: Trägt denn der Papst keinerlei Schuld an der innerkirchlichen Opposition? Hat er nicht auch Fehler gemacht?
Politi: Seine Anhänger sagen, es ein Fehler gewesen, dass er die Kurie bei seinem Amtsantritt nicht umgekrempelt und alle Dikasterien [Anm. der Redaktion: „Ministerien“ der römischen Kurie] mit Leuten besetzt hat, die so denken, wie er. Das war ganz bestimmt ein Fehler. Aber man muss das verstehen, er hat das aus Rücksicht auf den emeritierten Papst Benedikt gemacht und weil er glaubt, das persönliche Beispiel könnte die Dinge in Bewegung bringen. Der Vatikan-Sprecher Joaquín Navarro-Valls hat einmal gesagt: „Der Papst glaubt an das persönliche Beispiel, aber eines Tages wird er an den harten Kern der Kurie stoßen.“ Und so ist es gewesen.
DOMRADIO.DE: Sie beschreiben in Ihrem Buch das Jahr 2018 als „Elften September seines Pontifikats“: In den USA, Deutschland, Irland und weltweit wurde die Dimension von Missbrauch in der katholischen Kirche deutlich. Angesichts dieser Krise agierte der Papst bisweilen ungeschickt, ein Anti-Missbrauchsgipfel ging ohne konkrete Ergebnisse zu Ende, in Chile schenkte er Missbrauchsopfern zunächst keinen Glauben....
Politi: Die Reise nach Chile 2018 war das erste Mal, dass das Charisma des Papstes angetastet wurde und sie ist beispielhaft dafür, wie er belogen wurde. Es ging um den chilenischen Bischof Juan Barros, der Jahre langen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch den Priesterausbilder Fernando Karadima vertuscht haben soll. Trotzdem nahm Papst Franziskus ihn mehrfach öffentlich in Schutz, die „Gläubigen sollen sich nicht 'von den Linken' an der Nase herumführen lassen“, es gebe keine Beweise, sagte er damals. Er war überzeugt, dass die Anschuldigungen gegen den Bischof erfunden waren, weil man ihn nicht informiert hatte. Besonders peinlich war, dass auch im Kardinalsrat K9 mit Francisco Errázuriz ein chilenischer Kardinal saß, der den Papst nicht aufgeklärt hatte, das kam dann später raus.
Papst Franziskus hat diesen Fehler dann erkannt, Untersuchungen unter dem Erzbischof von Malta Charles Scicluna vorantreiben lassen und sich mit einem selbstkritischen „Schreiben an das Volk Gottes in Chile“ entschuldigt. Und er hat klargestellt, dass die Wurzel des Missbrauchs der Klerikalismus ist, denn Klerikalismus ist Missbrauch der Macht und des Gewissens.
Und da können wir wieder beobachten, wie sich Konflikte in der katholischen Kirche entwickeln, denn wenige Wochen später hat Josef Ratzinger einen Artikel verfasst, in dem er dieser These widerspricht und Missbrauch auf einen Mangel an Gottesglauben und die sexuelle Revolution der 68er zurückführt, ein ganz gegensätzlicher Gesichtspunkt. Und sofort ist zum Beispiel Kardinal Müller eingesprungen und hat das eine gute Analyse genannt. Das sind Machtkämpfe wie in einem weltlichen Staat.
DOMRADIO.DE: Wenn der Papst so reformorientiert ist, warum hat er dann kürzlich in seinem Schreiben zur Amazonas-Synode die Möglichkeit von „viri probati“, also von geweihten, verheirateten Männern noch nicht mal erwähnt und einer Weihe von Frauen eine glatte Absage erteilt?
Politi: Ich glaube, das hat mit dem Druck zu tun. Die Opposition hat sich ja schon vor über einem Jahr zusammengeballt und zwar nicht nur die bekannten Kritiker wie Kardinal Burke, Kardinal Müller oder Kardinal Sarah. Als die Synode zu Ende war, sprach plötzlich auch der ehemalige Präsident der Italienischen Bischofskonferenz Kardinal Ruini hinsichtlich der „viri probati“ von einer Fehlentscheidung der Synode. Er sagte: „Ich bete und hoffe, dass der Papst es nicht tut.“ Oder der Chef der Bischofskongregation, Marc Ouellet: Er hatte schon vorher in einem Buch gefordert, dass das Zölibats-Priestertum weitergehen muss. Das bedeutet, dass es ein Netz von Oppositionellen gibt. Es war wichtig in der Amazonas Synode, dass es eine Zweidrittelmehrheit gab. Ich glaube aber nicht, dass es in einer Welt-Synode eine Zweidrittelmehrheit für die „viri probati“ geben würde. Und da hatte der Papst Angst vor einer Spaltung, man hat ihn an die Wand gedrückt.
DOMRADIO.DE: Sie schreiben in Ihrem Buch von der „Schlussphase“ des Pontifikats, das heißt, Sie denken, dass Franziskus nicht mehr lange Papst ist?
Politi: Das heißt, dass wir – wie beim Fußball - in der zweiten Halbzeit sind. Der Papst ist nicht mehr der Jüngste, das Pontifikat kann nicht mehr endlos dauern. Es gibt Menschen, die es gerne sähen, dass er abtritt, aber er wird nicht einfach aufgeben, solange er die physische und geistige Kraft dazu hat. Und natürlich wird er auch nicht zurücktreten, solange Benedikt lebt, denn dann hätten wir zwei emeritierte Päpste, das würde noch komplizierter. Franziskus wird weitermachen, denn er ist zielstrebig und in diesem Sinne auch hartnäckig.
Aber es herrscht jetzt schon ein Kampf derer, die versuchen, die Machtgefüge im nächsten Konklave zu beeinflussen. In den USA haben sich schon Gruppen gebildet, die versuchen mit Dossiers und Referaten Meinungen zu manipulieren.
DOMRADIO.DE: Aber kann er die Kirche aus ihrer Krise herausführen?
Politi: Er hat viele Prozesse eingeleitet. Er hat die Vatikanbank gesäubert, dort können keine Mafia-Gelder mehr gewaschen werden. Mehr als 4.000 Konten wurden geschlossen, es fließen keine undurchsichtigen Geldströme mehr und es gibt eine Zusammenarbeit mit den weltlichen Gerichten, um Finanzdelikten auf die Spur zu kommen. Das gab es alles früher nicht. Franziskus hat auch eine Dezentralisierung der katholischen Kirche vorgenommen: Priester, Ortsbischöfe und nationale Bischofskonferenzen haben nun mehr Eigenverantwortung und Kompetenzen.
Und zum Thema Missbrauch hat er zwei wichtige Dokumente herausgebracht, die bahnbrechend sind: Er hat nach 500 Jahren das päpstliche Geheimnis abgeschafft, damit haben Opfer und weltliche Gerichte jetzt Anspruch auf Einblick in die Archive. Das ist ein ganz großer Schritt nach vorne. Und das zweite wichtige Dokument des Papstes beschreibt ein Prozedere, wie man mit Bischöfen umgeht, die verheimlichen oder selbst schuldig sind. Das durchzusetzen hat Jahre gedauert, ein Schritt nach vorne, ein Schritt zurück, es wurde gebremst und sabotiert. Aber jetzt hat sich der Papst durchgesetzt und das zeigt, wie es schwierig ist, einen neuen Kurs einzuschlagen, wenn innerhalb der Kirche Widerstand, Sabotage und Opposition herrschen.
Er ist in meinen Augen ein „Übergangspapst“, er ist wie ein Bauer, der aussäht: Er wird die Ernte nicht einbringen, aber er hat die Saat gesät. Ob die Ernte Frucht trägt, wird nicht nur von seinem Nachfolger abhängen, sondern von der ganzen Glaubensgemeinschaft. Ich habe sehr viel Passivität unter den Gläubigen erlebt, die große Frage ist also: Was tun die Priester? Was tun die Bischöfe? Und was tun die Gläubigen?
Das Interview führte Ina Rottscheidt.