Das Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen in Hessen stimmt nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts mit dem Grundgesetz überein. Wie aus den am Donnerstag veröffentlichten Leitsätzen des Zweiten Senats hervorgeht, entschieden die Richter damit aber weit mehr als eine nur in einem Bundesland interessante Rechtsfrage.
Abwiegen verschiedener Verfassungsgüter
Das Gericht wog verschiedene Verfassungsgüter gegeneinander ab: die individuelle Glaubensfreiheit jedes Einzelnen, die ebenso grundrechtlich geschützte negative Religionsfreiheit Dritter, der Grundsatz weltanschaulich-religiöser Neutralität des Staates und die Funktionsfähigkeit des Rechtssystems insgesamt.
Am Ende kommt der Senat zum Ergebnis, dass "die Entscheidung des Gesetzgebers für eine Pflicht, sich im Rechtsreferendariat in weltanschaulich-religiöser Hinsicht neutral zu verhalten, aus verfassungsrechtlicher Sicht zu respektieren ist".
Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass auch eine andere Position des Landes vom Grundgesetz gedeckt gewesen wäre. Ein Verbot des Kopftuches von Amtsträgern vor Gericht ist demnach also gut möglich, aber keinesfalls zwingend geboten. Diese Wertung lässt den Schluss zu, dass auch ähnliche Regelungen in anderen Bundesländern sehr gute Chancen haben, den Verfassungs-TÜV in Karlsruhe zu bestehen.
Ausführlich geht der Senat auf die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege ein, die zu den Grundbedingungen des Rechtsstaats gehöre. Funktionsfähigkeit setze voraus, dass gesellschaftliches Vertrauen nicht nur in die einzelne Richterpersönlichkeit, sondern in die Justiz insgesamt existiere. Dieses Vertrauen gelte es zu optimieren. Zumal der Staat "dem Bürger in der Justiz klassisch-hoheitlich und daher mit größerer Beeinträchtigungswirkung gegenübertritt". Gerade dann aber muss der Staat unparteiisch wirken:
"Die Verpflichtung des Staates auf Neutralität kann keine andere sein als die Verpflichtung seiner Amtsträger auf Neutralität, denn der Staat kann nur durch Personen handeln."
Thema Kopftuch beschäftigt Gerichte seit Jahrzehnten
Die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) ging in ihrer Reaktion genau auf diesen Punkt ein, als sie die Karlsruher Entscheidung als "wichtiges Signal zugunsten der weltanschaulichen Neutralität staatlicher Institutionen" wertete. Dies gelte gerade in der heutigen Gesellschaft, in der Menschen aus vielen Ländern mit unterschiedlichen kulturellen Biografien zusammenlebten. Denn für Verfahrensbeteiligte sei die Neutralität des Staates bei einer Frau mit Kopftuch auf der Richterbank nicht ohne Weiteres zu erkennen.
"Während Vielfalt und Weltoffenheit im täglichen Leben wichtige Stützen des gesellschaftlichen Zusammenhalts sind, müssen in einem Gerichtssaal, bei dem der Staat den Bürgern mit großer Beeinträchtigungswirkung gegenübertritt, andere Regeln gelten."
Nach den jetzt entschiedenen hessischen Regelungen können Frauen grundsätzlich während ihrer Ausbildung ein Kopftuch tragen. Sie dürfen es nur dann nicht, wenn sie öffentlich Justiz und Staat repräsentieren. Konkret dürfen sie damit weder Verhandlungen von der Richterbank aus verfolgen noch dürfen sie Beweise aufnehmen.
Das Thema Kopftuch beschäftigt die deutschen Gerichte mittlerweile seit Jahrzehnten - und dürfte es auch in der Zukunft tun. Neben der Frage, ob muslimische Frauen etwa im Schuldienst oder als Vertreter der Justiz ein Kopftuch tragen dürfen, ist das Arbeitsrecht das zweite große Feld rechtlicher Auseinandersetzungen. Maßstäbe setzt dabei die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg aus dem Jahr 2017, nach der Arbeitgeber Kopftücher nur verbieten können, wenn sie zugleich das Tragen alle anderen weltanschaulichen Zeichen untersagen. Beide Urteile stehen für den Willen der Justiz, keine Kreuzzüge gegen Menschen zuzulassen, nur weil sie einer anderen religiösen Vorstellung folgen als die Mehrheitsgesellschaft.
Doch das Thema bleibt virulent. Das zeigt schon das Sondervotum des Verfassungsrichters Ulrich Maidowski, der eine abweichende Meinung formulierte. Er hält das Kopftuchverbot verfassungsrechtlich nicht für haltbar. Und es wäre keine Premiere in Karlsruhe, wenn die Minderheitenmeinung eines Tages zur Mehrheitsmeinung wird.