Über den Umgang mit jüdischen Sportlern in Deutschland

"Der Hass muss wieder weniger werden"

Der Fußball hat sich Integration auf die Fahnen geschrieben. Trotz großen Engagements gibt es auch tiefliegende Probleme. Eines davon: Antisemitismus. Nicht immer offen, oft versteckt in kleinen Anmerkungen oder Aktionen.

Autor/in:
Von Christian Hammer
Flagge des deutsch-jüdischen Sportvereins TuS Makkabi Berlin / © Christian Hammer (KNA)
Flagge des deutsch-jüdischen Sportvereins TuS Makkabi Berlin / © Christian Hammer ( KNA )

Im Sport sind alle vereint und alle gleich - so die Traumvorstellung der heilen Fußballwelt mancher Funktionäre. Wenn mal wieder eine Weltmeisterschaft oder Europameisterschaft ansteht, jubeln die Menschen einträchtig zusammen. Fußball, die bekanntlich schönste Nebensache der Welt, eint in Vielfalt. In varietate concordia - das Motto der Europäischen Union gilt hier, wie fast nirgendwo sonst. Soweit die Theorie.

Die Realität sieht oft anders aus. Das erleben vor allem jüdische Vereine, die selbst die Vielfalt leben und viele Spieler unterschiedlicher Herkunft zu ihren Mitgliedern zählen. 1965 gründete die jüdische Gemeinschaft den Verband Makkabi Deutschland mit Unterstützung der Politik neu. Der Deutsche Olympische Sportbund nahm Makkabi als "Verband mit besonderen Aufgaben" auf. Maccabi, so die internationale Schreibweise, ist eine weltweite jüdische Jugendbewegung, die den Amateursport fördern und sich sozialen und kulturellen Tätigkeiten sowie der Freizeitgestaltung widmen will.

Vielfalt bei TuS Makkabi Berlin

Ein Beispiel für dieses Engagement ist der jüdische Sportverein TuS Makkabi Berlin. Dessen Trainer Wolfgang Sandhowe erklärt: "Die Jungs verstehen sich als Mannschaft auf dem Platz, egal wo sie herkommen, auch wenn sie anfangs manchmal nur wenig Deutsch können." Die Mentalität des Vereins sei "einfach total faszinierend". Sandhowe muss es wissen. Er hat in seiner langen Trainerlaufbahn zahlreiche Teams betreut. Unter anderem war er im Trainer-Stab des türkischen Top-Klubs Galatasaray Istanbul.

Seit Juli 2017 coacht der 66-Jährige den TuS Makkabi. Dort spielten in den vergangenen fünf Jahren rund 100 Spieler aus 22 Nationen. Alle großen Religionen sind vertreten. "Als jüdischer Verein müssen wir die Feiertage einhalten, sonst sind wir wie viele andere Klubs auch", erklärt Sandhowe. Die Sprache aller, so der Trainer, ist schlichtweg: Fußball. Das Klima in der Mannschaft sei trotz oder wegen der Unterschiede sehr gut. In der Berlin-Liga läuft es für TuS Makkabi derzeit rund. Zu Hause, auf der Julius-Hirsch-Sportanlage in Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf, sind sie noch ungeschlagen. Damit das auch so bleibt, trainiert das Team fünfmal die Woche. Mit Erfolg. Das Heimspiel etwa gegen Türkspor Berlin am 15. Dezember wurde zum Triumph. Das Ergebnis: 4:0.

Bitterer Nachgeschmack

Und doch bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Kurz nach Beginn der zweiten Halbzeit kommt es zu einem Wortgefecht. Der Schiedsrichter zückt die Rote Karte gegen einen Spieler von Türkspor. Der Grund: eine schlimme Beleidigung. Nach langen Diskussionen geht der Stürmer vom Platz - uneinsichtig. "Die dürfen sich immer alles erlauben", ruft er noch über den Platz, ehe er sich trollt. Womit er seinen Gegenspieler beleidigt hat, ist nicht mehr zu rekonstruieren. Das Spiel bleibt hitzig. Die Mannschaften giften sich mehr und mehr an.

Bei jeder noch so kleinen Aktion wird lamentiert. Der Schiedsrichter zieht weiter tapfer "sein Spiel" durch. Sport und Fußball, das eint nicht nur, es trennt auch oft - das erfahren gerade Sportler jüdischer Vereine. "Du Judensau, dich haben sie vergessen zu vergasen", so lautet nur einer der Sprüche, die bei Spielen von Makkabi-Vereinen in der Bundesrepublik fallen - wieder oder immer noch.

Hohe Dunkelziffer bei Hass und Ablehnung

Auch Wolfgang Krymalowski, stellvertretender Vorsitzende von Makkabi Deutschland, weiß von solchen Vorfällen. "Das ist einfach nicht tolerierbar", sagt er. Genaue Zahlen und Statistiken gebe es nicht. "Viele Kommentare gehen einfach unter und werden ausgeblendet." Die Dunkelziffer sei hoch. Ablehnung und Hass schlage jüdischen Sportlern häufig entgegen, auch im Spielalltag der jüdischen Fußballvereine.

"Es sind oft die kleinen Dinge und versteckten Aktionen, die einfach schlimm sind", so Krymalowski. In den Köpfen seien oft generalisierende Muster und Vorurteile verankert. Häufig müssten sich jüdische Spieler für das Verhalten der israelischen Regierung rechtfertigen. "Dabei ist der Vergleich und die Generalhaftung für die Politik Israels falsch."

Eltern ins Boot holen

Aus Sicht von Krymalowski sollte sich schnell etwas ändern. Durch Nichtstun würden die Anfeindungen auf den Sportplätzen nicht weniger. Er will die Menschen anders erreichen und plädiert für Aufklärung: "Die Verbände sind gefordert, aber auch die Ortsvereine, bis runter zum Trainer, mit entsprechenden Informationen und Schulungen", so der Sportfunktionär. Zum Antisemitismus komme auch noch Rassismus.

"Dunkelhäutige Spieler bei uns werden auch angefeindet, nur eben anders." Vereine müssten immer die Eltern mit ins Boot holen und Vorbilder in ihren Reihen fördern, fordert Krymalowski. "Trainer müssen effektiver erzieherisch auf ihre Spieler einwirken können."

Nicht alle sensibel für Rassismus

Gremien und Sportverbände sieht auch der Hamburger Antisemitismusforscher Florian Schubert gefordert. Längst nicht alle zögen aber an einem Strang, beklagt er. "Viele Menschen in den Verbänden sind nicht sensibel genug gegenüber Rassismus." Bei jedem Vorfall müssten Verantwortliche aufhorchen und konsequent durchgreifen, müssten sich auch Antisemitismus gegenüber anders aufstellen. Die wichtigste Rolle im Fußball fiele dabei dem Deutschen Fußball-Bund zu - der aber hat auf eine Anfrage zum Thema Antisemitismus gar nicht erst reagiert. Immerhin gibt es aber erste Anzeichen für einen Kulturwandel - zumindest was die Vergangenheit betrifft. So unterstützt der Verband mit seiner Kulturstiftung Vereine, ihre eigene Geschichte aufzuarbeiten.

Vereine wollen sich Vergangenheit stellen

Viele Fußballvereine bundesweit haben da noch einiges zu tun. So will sich beispielsweise der FC Bayern München seiner Vergangenheit stellen. Was passierte mit den jüdischen Vereinsmitgliedern vor, während und nach der NS-Zeit? Wie ging der Verein nachher mit Juden um? So lauten zentrale Fragen. Bei der Beantwortung sollen die Historiker helfen: "Wir untersuchen, wie die gesellschaftlichen Mechanismen im Verein griffen und wie der schleppende Prozess der sozialen Ausgrenzung funktionierte", erklärt der Leiter der Holocaust-Studien am Institut für Zeitgeschichte, Frank Bajohr, der die Studie zum Verein verantwortet. Eine Zwischenbilanz über den Stand der Forschungen will er nicht geben. Seit 2017 läuft die auf drei Jahre angelegte Untersuchung. Sie ist Vorbild für viele andere Vereine.

In der deutschen Vereinslandschaft selbstverständlich engagiert waren bis zum Bruch der NS-Zeit auch jüdische Sportler. In den 1930er Jahren grenzten Mitglieder "Kameraden" aus und warfen sie gar aus den Vereinen. Damals zählten andere Tugenden, wie Bajohr sagt. So hätten Sportler auf Disziplin, Kameradschaft, Kampfkraft, Einsatzbereitschaft geschaut. Wo heute Vereine für Inklusion, Respekt, Fairness und Toleranz werben, grenzten früher Vereinsmitglieder Juden aus. "Antisemitismus war ein großes, aber nicht das alleinige Motiv für das Ausgrenzen", erklärt der Historiker. Hinzu kamen Faktoren wie Neid und Missgunst. "Das Typische ist, dass Menschen anfangen, ihre eigenen Interessen, ihre eigenen Hoffnungen in solche Ausgrenzungsprozesse einzubringen und diese dann zu beschleunigen."

Manche bleiben passiv

Längst sind nicht alle Hürden für die Aufarbeitung aus dem Weg. Manche Vereine sind weiter passiv. Einzelne jüdische Top-Sportler hervorzuheben, greife zu kurz. Viel wichtiger ist es laut Bajohr, Prozesse der Ausgrenzung zu analysieren. Wie ging das damalige institutionelle Umfeld mit jüdischen Sportlern um? Wie sah Antisemitismus auf Verbandsebene aus? Vermeintlich unangenehme Fragen seien unverzichtbar. "Es geht nicht darum, eine Vereinsikone vom Sockel zu stoßen", so Bajohr. "Wir wollen herausarbeiten, wie solche Prozesse der Abgrenzung ablaufen, welches Ausmaß an Opportunismus auch mobilisiert wird."

Strukturelle antisemitische Kontinuitätslinien sichtbar zu machen hilft, aktuelle Prozesse zu verstehen - in diesen Anliegen sind sich der Historiker Bajohr und der Makkabi-Funktionär Krymalowski einig. Latenter Judenhass auf und eben auch neben den Sportplätzen der Republik, lässt sich laut Krymalowski nur durch strukturelle Veränderungen wie pädagogische Schulungen für Trainer oder Werteunterricht zurückdrängen.

Hetze seit 2015 zugenommen

Die Hetze an sich ist nicht neu, aber deren Ausmaß und Häufigkeit besonders seit mit dem Beginn der sogenannte Flüchtlingskrise 2015. Dies sei ein stetiger Prozess, so Krymalowski. "Gewalttaten gegen Juden sind nur ein Ergebnis von etwas, was schon seit Jahren da ist." Sport als eigentlich verbindendes und nicht trennendes Element in der Gesellschaft zu fördern, helfe auch, sagt Krymalowski. "Der Hass, die Beleidigungen und die Übergriffe müssen dringend wieder weniger werden."


Spieler des deutsch-jüdischen Sportvereins TuS Makkabi Berlin  / © Christian Hammer (KNA)
Spieler des deutsch-jüdischen Sportvereins TuS Makkabi Berlin / © Christian Hammer ( KNA )

Wolfgang Sandhowe trainiert den Fußballverein des deutsch-jüdischen Sportvereins TuS Makkabi Berlin / © Christian Hammer (KNA)
Wolfgang Sandhowe trainiert den Fußballverein des deutsch-jüdischen Sportvereins TuS Makkabi Berlin / © Christian Hammer ( KNA )
Quelle:
KNA