Weltkulturerbe-Stadt Evora ist ein Gesamtkunstwerk

Kirchen, Kachelschmuck und eine kuriose Knochenkapelle

Im Südosten Portugals breitet sich der Alentejo aus: eine dünn besiedelte, sonnenreiche Region. Mittendrin liegt Evora, die Hauptstadt. Ein Spaziergang führt zu sakralen Schätzen und Kuriosa.

Autor/in:
Andreas Drouve
Kathedrale von Evora / © Fotoeventis (shutterstock)

Die Verheißung klingt gruselig: "Unsere Knochen warten hier auf eure", prangt über dem Zugang zur Knochenkapelle der Franziskaner im portugiesischen Evora. Im 17. Jahrhundert kleideten sie den Gebets- und Andachtsraum umfassend mit menschlichen Überresten aus.

Schädel und Knochen setzten sie zu schaurigen Mustern zusammen, gaben Ecken und Wänden so kunstvolle Symmetrien. Das Material stammte aus einer Vielzahl städtischer Gräber. Noch immer ist die Atmosphäre gespenstisch, in Szene gesetzt durch gedämpftes Licht - und der Anblick ist nichts für zartbesaitete Besucher.

Es riecht aber nicht nach Knochen

Wer das Ganze für einen makaberen Schabernack der Ordensmänner hält, liegt falsch. Hinter der Optik des Grauens stand ein profunder Denkanstoß: über des Menschen Vergänglichkeit zu sinnieren und gleichzeitig anzumahnen, das begrenzte Dasein im Einklang mit christlichen Werten zu leben.

Zum Glück riecht es nicht nach Knochen - und die Spannung löst sich im übrigen Gebäude auf: Die Krippenkollektion vereint Exponate von Italien bis Ecuador, das Museum Sakraler Kunst wertvolle Barockskulpturen, Ölgemälde, Altarkreuze, Silbermonstranzen. Nicht fehlen dürfen im historischen Klosterkomplex die für Portugal typischen Schmuckkacheln, Azulejos: Mal zeigen sie geometrisch-florale Kompositionen, mal Figurenszenen wie die Kreuzabnahme.

1224 kamen die Franziskaner aus dem Nordwesten Spaniens nach Evora. Da hatte die Stadt bereits eine lange Geschichte bis zur Römerzeit hinter sich; und die im Frühmittelalter eingefallenen Mauren waren erfolgreich vertrieben. Nun entwickelte sich eine christliche Hochburg, die sich in einen wuchtigen Mauermantel schnürte und die Gunst der Könige genoss.

Trutzig wirft sich die Wehrkathedrale auf, deren Zinnen unter dem blauen Himmel des Alentejo Schattenmuster auf die benachbarten Häuser zeichnen. Der Aufstieg auf die Dachterrasse bringt an Türme und Wasserspeier heran, gibt den Fernblick über Höhenzüge und ausgesprenkelte Orte frei. Die Begehung verlangt eine gewisse Vorsicht: Der vom Zahn der Zeit angenagte Boden wellt sich, zwischen den Zinnen gähnt die Leere, und Schilder warnen sogar  auf Deutsch vor "Gefahr" - doch so dramatisch wird es nicht. Die romanisch-gotische Kathedrale gilt als größte ihrer Art im Land.

Gesamtkunstwerk aus Gassen, Plätzen und Fassaden

Mittendrin blickt man zu einer Maria mit der Leibesfrucht auf und zur Orgel, die auf ihren Stützpfeilern regelrecht über dem Raum zu schweben scheint. Ein Kleinod ist der gotische Kreuzgang mit seinen Orangenbäumchen, ein Besuchermuss das weitläufige Museum. Als Höhepunkt der Sammlung sticht eine Reliquie des Christuskreuzes hervor, die, so heißt es, Hospitalarier im 13. Jahrhundert aus dem Heiligen Land mitbrachten. Dagegen darf man vor dem Blondlockenkitsch einer Christusskulptur ebenso erschaudern wie vor dem leichenähnlichen Bildnis der "Lieben Frau des guten Todes" in einer Sargvitrine.

Evora ist ein Gesamtkunstwerk aus Gassen, Plätzen und Fassaden in Anstrichen aus Gelb und Kalkweiß - und weiteren Gotteshäusern. Den Hauptplatz, Praca do Giraldo, beherrscht die Renaissancekirche Santo Antao in pompösem Hallenstil. Ebenfalls der Renaissance rechnet die Kirche Graca zu, auf deren Höhen sich befremdliches Figureninventar lümmelt: Atlanten, sitzend, mit herunterhängen Beinen, barfuß und mit stupiden Gesichtern.

Ein paar Schritte trennen den Diana-Tempel der Römer vom Glaubenstempel zu Ehren des Evangelisten Johannes (portug.: Sao Joao Evangelista), entstanden über der Burg der Mauren. Eine Infotafel vor der Kirche kündigt sie als "eine der schönsten in Portugal" an - und hält tatsächlich, was sie verspricht. Dank ihrer Azulejos-Pracht bis zum Gewölbe entfaltet sie eine enorme Wirkung; die Kacheln stammen aus der Barockzeit und thematisieren Szenen aus dem Leben des heiligen Lorenzo Giustiniani.

Und plötzlich sind da erneut Schichtwerke aus Menschenknochen und Schädeln zugegen: beim Blick hinab durch eine vergitterte Luke mitten im Kirchenraum. Dem Betrachter fährt ein Schauer über den Rücken. Und das ist gut so. Denn wer sich schauern kann, ist schließlich noch am Leben. Und das kann der Besucher in Evora, dessen historisches Zentrum 1986 zum UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen wurde, in all seinen Facetten bewundern.


Mauer voller Schädel und Knochen in der Knochenkapelle in Evora / © Gilmanshin (shutterstock)
Mauer voller Schädel und Knochen in der Knochenkapelle in Evora / © Gilmanshin ( shutterstock )
Quelle:
KNA