Das Coronavirus geht um. Die Angst auch. Die einen beäugen den Nebenmann im Bus mehr oder weniger unauffällig, kaufen mehr haltbare Lebensmittel als gewöhnlich oder suchen im Internet nach rar gewordenen Desinfektionsmitteln. Aber auch Gelassenheit und Gefasstheit lassen sich beobachten - und Humor. Ganz nach dem Motto: Vorbereitung ja, Panik nein.
Ursachen der Angst
Neben den stetig aktualisierten Zahlen der Infizierten scheint die deutsche Medienlandschaft auch die Frage umzutreiben, warum viele Menschen wegen des Coronavirus Angst verspüren. Psychologen erklären Ursachen und Strategien dagegen, werden nach der Wirkung von Floskeln wie "keine Panik" gefragt und danach, und ob die Angst "normal" sei.
So erklärte der Dekan der Fakultät für Psychologie an der Ruhr-Universität Bochum, Jürgen Margraf, im WDR-Interview, dass die Persönlichkeit eines Menschen nicht ausschlaggebend sei für dessen Neigung zu Ängstlichkeit. Stattdessen spiele die Situation des Einzelnen eine bedeutend größere Rolle. Hinzu kommt: Gehe im Umfeld eines Menschen die Angst um, übertrage sie sich auch leicht.
Der Schweizer Psychologe Shimon Lang führte in der "Jüdischen Allgemeinen" die Neuartigkeit des Coronavirus als eine weitere Triebfeder für manche Ängste ins Feld. Schließlich handele es sich bei "Covid-19" um ein unbekanntes Phänomen. Das Virus bedroht zudem potenziell den eigenen Körper - Studien zufolge ein weiterer Faktor, der spezielle Sorgen hervorruft, wie Lang erläuterte.
Floskel "Keine Panik" erzeugt oft das Gegenteil
Gerd Reimann von der Deutschen Psychologen Akademie wies darauf hin, dass Floskeln wie "keine Panik" auf eine fehlende psychologische Kommunikationsschulung von Menschen hindeuten könnten - gerade, wenn sie von Politikern kämen. Viele Leute zögen aus solchen Aussagen genau den umgekehrten Schluss, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland - und hätten das Gefühl, dass Panik erst recht angebracht sei.
Der Psychologe rät dazu, solche vermeintlich beruhigenden Floskeln erst gar nicht zu nutzen. Stattdessen sollten Verantwortliche auf umfassende und sachliche Informationen setzen. Das bringe Menschen eher dazu, Ruhe zu bewahren. "Ungewissheit und empfundene Hilflosigkeit bringen eine Wucht in die Wahrnehmung, die der tatsächlichen Bedrohung nicht im mindesten angemessen ist."
Angst beeinträchtigt Reimann zufolge außerdem eine realistische Einschätzung einer Situation, was eben auch zu Überreaktionen führen könne. In der Folge ließen sich zurzeit zum Beispiel Hamsterkäufe beobachten; auch seien sogar Angstpsychosen möglich. In einer Krise könne es auch passieren, dass Menschen Empathie gegenüber anderen einbüßten, ohne dass sie dies selbst bemerkten.
Verbindung zur Realität nicht verlieren
Wer sehr starke Angst vor dem Coronavirus empfindet, soll sich nach den Worten des Psychiaters Mazda Adli an Freunde und Verwandte wenden und sich informieren. Es helfe häufig schon, die Situation aus einer anderen Perspektive zu betrachten, sagte er dem "Tagesspiegel".
Die Verbindung zur Realität nicht zu verlieren - dazu rät der Psychologie-Professor Dan Ariely von der US-amerikanischen Duke University. Sein akademisches Steckenpferd: die menschliche Irrationalität. Die Angst vor dem Virus sei vergleichbar mit der Angst vor Terrorismus, sagte er dem "Handelsblatt". Die Menschen hätten das Gefühl, das neue Virus nicht kontrollieren zu können. Dabei sei die aktuelle Gefahr in den Köpfen der Menschen deutlich größer, als es vorliegende Zahlen erahnen ließen.
Das Zusammenleben in Deutschland könnte dadurch belastet werden, warnte auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). "Eine Gesellschaft, die unter Stress steht, lässt sich emotional leicht entflammen", sagte er dem "Spiegel". Das beginne bei Hamsterkäufen und ende beim Umgang mit asiatischstämmigen Mitbürgern. Er rief zu Besonnenheit auf: "Unüberlegtes Handeln bringt nichts."
Von Lisa Konstantinidis